Als am Sonntag klar war, dass die UBS die Credit Suisse schluckt, herrschte Aufregung über den tiefen Übernahmepreis und den Verlust für CS-Aktionäre. Die komplette Abschreibung der so genannten AT1-Anleihen und folglich der 17-Milliarden-Verlust der Anleger waren zunächst kein Thema, auch weil sie an der Pressekonferenz nicht erwähnt wurden. Zeit, dies nachzuholen.
Was sind AT1-Anleihen? AT1-Anleihen, auch Coco-Bonds oder bedingte Pflichtwandelanleihen genannt, sind riskante Anleihen, die nach der Finanzkrise eingeführt wurden. Zu Beginn stellen sie Fremdkapital dar, können aber ohne Zustimmung der Inhaber in Eigenkapital umgewandelt werden, wenn die Eigenkapitalquote unter ein vorher festgelegtes Niveau fällt. Dadurch sollen sie das Kernkapital der Bank im Krisenfall stützen. Da die Wandlung in Eigenkapital im Krisenfall erfolgt, ist das erhaltene Eigenkapital für Anleger eher unattraktiv, da ein hohes Ausfallrisiko besteht. Wird das Unternehmen gerettet, können Anleger vom steigenden Aktienkurs profitieren und allenfalls mögliche Verluste einschränken. Unter bestimmten Voraussetzungen können AT1-Anleihen komplett abgeschrieben werden, wie es im Fall der Credit-Suisse-Übernahme geschah.
Wie begründet die Finma die Abschreibung? Zum einen stützt sich die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma auf den Emissionsprospekt der AT1-Anleihen, der explizit vorsieht, dass die Anleihen im Falle eines Trigger-Ereignisses (Viability Event), wie die Unterstützung des Staates gemäss Prospekt eines ist, vollständig abgeschrieben werden. Zum anderen verweist die Finma auf die Notverordnung des Bundes, die ihr in Artikel 5a die Kompetenz zuteilt, zusätzliches Kernkapital – ein anderer Ausdruck für AT1-Anleihen – abzuschreiben.
Was meint der Rechtsexperte zur Abschreibung? Thomas Werlen, Anwalt bei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan, sieht die Abschreibung der AT1-Anleihen durch die Finma kritisch. Sie sei unnötig und unrechtmässig.
Gemäss Werlen findet die Klausel im Emissionsprospekt keine Anwendung, da es sich beim Fall Credit Suisse nicht um eine staatliche Unterstützung handle. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte an der Pressekonferenz am Sonntag: «Es ist eben keine Staatslösung. Wir haben eine private Bank, die eine andere Bank kauft».
Die «Kann-Formulierung» in Artikel 5a der Notverordnung gebe der Finma lediglich die Kompetenz, Abschreibungen zu tätigen, wenn diese absolut nötig sind, was hier nicht der Fall sei, so Werlen. Er ist sich sicher, dass die UBS die CS auch gekauft hätte, wenn die Finma die AT1-Anleihen im Wert von 17 Milliarden Franken nicht abgeschrieben hätte.
Wie reagieren Dritte? Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) stuft die AT1-Anleihen der Credit Suisse neu auf Stufe «D» ein. Dies ist gleichbedeutend mit dem Ausfall einer Anlage. In einem nächsten, weiteren Schritt würden die Anleihen ganz aus dem Rating der Agentur fallen. Folglich schätzt die Agentur die Chancen für erfolgreiche Klagen als eher klein ein.
Optimistischer ist die Investmentbank Goldman Sachs. Sie kauft derzeit AT1-Anleihen, um selbst Klagen zu dürfen oder bei juristischen Siegen anderer Gläubiger profitieren zu können. Goldman Sachs kommentiert die Käufe nicht.
Die amerikanische und kanadische Lobbygruppe «The Credit Roundtable», die zum Schutz von Anleihegläubigern gegründet wurde, will hingegen keine rechtlichen Schritte gegen die Credit Suisse einleiten, wie sie mitteilte.