Das Wichtigste in Kürze
- Dass die SBB für die Gotthard-Züge auf den Schweizer Hersteller Stadler Rail gesetzt hat, ist nicht selbstverständlich.
- Der Markt der Zughersteller ist international geworden. Vor allem chinesische Staatskonzerne werden immer stärker.
- Trotzdem verfügen die traditionellen Produzenten über einen Vorteil: Ihre Zuverlässigkeit und Nähe zu den Kunden.
Die europäischen Eisenbahnproduzenten waren während Jahrzehnten das Mass aller Dinge – und der Stolz jedes Landes, wenn seine Züge auch im Ausland rollten. Doch inzwischen beherrschen nicht mehr die europäischen Zughersteller den Weltmarkt, sondern der chinesische Staatskonzern China Railway Rolling Stock Coporation (CRRC).
Ein Riesenkonzern mit 180'000 Angestellten
«CRRC ist heute absolut dominierend. Er alleine macht mehr Umsatz als die fünf nächstgrössten Unternehmen weltweit zusammen», sagt Maria Leenen. Sie ist Geschäftsführerin von SCI, einem Beratungsunternehmen in Hamburg, das auf Züge und Bahninfrastruktur spezialisiert ist.
Der chinesische Eisenbahnkonzern mit seinen 180'000 Angestellten ist heute also grösser als die traditionsreichen Bahnunternehmen Bombardier, Alstom, General Electric und Siemens zusammen.
Dass sich die Kräfteverhältnisse jüngst so stark verschoben haben, hat gerade auch mit diesen Unternehmen zu tun. «Die chinesischen Hersteller haben von europäischen, japanischen und amerikanischen Schienenfahrzeugproduzenten viel gelernt», so Leenen.
Chinas Markt ist gesättigt
Ausserdem konnten sie in den letzten Jahren die riesige Nachfrage in China bedienen und entsprechende Produktionskapazitäten aufbauen. Doch jetzt drohen in China Überkapazitäten. Deshalb versuche CRRC jetzt, seine Züge zu exportieren, um die Produktionsstätten auszulasten, so Leenen.
Da Europa auch in naher Zukunft der grösste Markt für Züge und Bahninfrastruktur bleiben wird, ist nachvollziehbar, dass der chinesische Staatskonzern erst kürzlich eine Zentrale für das Europageschäft in Wien eröffnet hat.
Spuhler gibt sich selbstsicher
Doch was bedeutet diese neue Konkurrenz beispielsweise für den Schweizer Bahn-Produzenten Stadler Rail, den siebtgrössten Bahnhersteller der Welt? Peter Spuhler, Chef von Stadler Rail, gab sich heute im «Tagesgespräch» auf Radio SRF kämpferisch: «Wir erstarren nun nicht in Angst, aber man muss sie ernst nehmen.»
In Europa sei die Grösse des Unternehmens nicht allein entscheidend. «Technische Kompetenz und Schnelligkeit bei der Umsetzung» seien viel entscheidender. Die Chinessen «sölled nur cho!», so Spuhler.
Dass die Chinesen ernsthafte Konkurrenten sind, hat Stadler Rail bereits am eigenen Leib erfahren. So verlor der Schweizer Zughersteller letztes Jahr einen Auftrag in Osteuropa an die Chinesen.
CRRC sei zwar gut im reinen Fahrzeugbau, sagt Bahnexpertin Leenen. Allerdings hätten die traditionellen Eisenbahn-Hersteller der neuen Konkurrenz aus China etwas voraus. «Ein Schienenfahrzeug braucht während seiner 30 bis 40 Jahre langen Lebensdauer Betreuung, Wartung und fachliche Expertise.»
Und dafür möchten die Bahnen viel lieber Hersteller vor Ort, die ihre Bahnen verstehen, so Leenen. Dass die chinesischen Hersteller auch langfristig verlässlich seien, müssten sie zuerst noch beweisen.
Es braucht weiterhin neue Züge
Und: Auch wenn die Eisenbahn letztlich ein Produkt des 19. Jahrhunderts ist, wird man sie auch in Zukunft brauchen, ist die Expertin überzeugt. Die weiter fortschreitende Verstädterung verlange nach Möglichkeiten, viele Menschen von A nach B zu transportieren, etwa vom Wohnort zur Arbeit. «Hier sehen Sie die Bedeutung, welche die Eisenbahn spielen kann – und auch spielt!»
Wer allerdings all diese Metros, S-Bahnen oder Pendlerzüge bauen wird, ist offen. Die Karten bei den Bahnherstellern werden derzeit neu gemischt.