Energiebedarf in der Schweiz - Strom produzieren statt Natur schützen?
Grossprojekte, um den wachsenden Energiebedarf der Schweiz zu decken: Sind die Eingriffe in die Natur gerechtfertigt? Darüber diskutiert Reto Lipp mit der Stromwirtschaft und Pro Natura – auf der Grimsel-Staumauer.
Die Grimsel-Staumauer im Berner Oberland steht wie kaum ein anderer Ort für die Debatte zur Energiezukunft. Sie soll um 23 Meter erhöht werden und so noch mehr einheimischen Winterstrom liefern. Doch das Projekt ist umstritten – genauso wie andere Grossprojekte, mit denen die Schweiz die Energiewende schaffen will.
Grimsel-Staumauer
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Am Rande des Berner Oberlands befindet sich die Staumauer Spitallamm; eine von zwei Talsperren um den Grimselsee auf knapp 1900 Metern über Meer.
Um die Wasserkraft der Aare zu nutzen, wurde die Mauer zwischen 1925 und 1932 gebaut. Mit ihren 114 Metern bildete sie damals das höchste Stauwerk Europas. Der Bau gilt noch heute als ein ingenieurtechnisches Meisterwerk.
Nun hat die älteste Mauer im Grimsel-Gebiet einen Riss. Deshalb wird direkt davor seit vier Jahren eine Ersatzmauer gebaut. Voraussichtlich 2025 soll sie fertig sein. Kosten: 125 Millionen Franken. Die alte, rissige Mauer bleibt stehen und wird geflutet.
In einem nächsten Schritt soll die neue Mauer um 23 Meter erhöht werden. Verantwortlich für den Bau sind die Kraftwerke Oberhasli.
Doch das Vorhaben rund um die Erhöhung ist umstritten. Steigt der Pegel des Grimselsees, würde einzigartige Natur zerstört. Der Arvenwald etwa am Nordufer des Sees gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Bei einer Flutung würde ein Fünftel aller Bäume ertränkt. Auch das noch junge Gletschervorfeld Unteraare am Ende des Stausees würde zerstört.
Noch ist offen, ob diese Landschaft erhalten bleibt oder in den nächsten Jahren geflutet wird.
Deshalb traf sich Reto Lipp auf der Grimsel-Staumauer mit dem Chef der Bernischen Kraftwerke BKW, Robert Itschner, und Pro-Natura-Präsidentin und SP-Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel zum «Eco Talk». Er wollte von ihnen wissen: Wie viel Naturfläche muss für die Versorgungssicherheit geopfert werden? Ist es realistisch, dass die Schweiz sich dereinst selbst mit Elektrizität versorgt oder bleibt sie auf Importe angewiesen?
Schweiz benötigt mehr Strom
Seit dem Ja zum Klimaschutzgesetz ist klar, dass die Schweiz bis 2050 mehr Strom benötigt, wenn Verkehr, Heizungen und Industrie elektrifiziert werden müssen. Da gleichzeitig die Kernkraftwerke stillgelegt werden sollen, könnte gemäss dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE eine Stromlücke von bis 37 TWh entstehen – so viel, wie heute die gesamte Schweizer Wasserkraftproduktion liefert.
«Generell ist die Situation deutlich weniger angespannt als noch vor einem Jahr. Die höhere Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke, die aktuell sehr hohen Füllstände der europäischen Gasspeicher, die zusätzlichen Flüssiggasimportkapazitäten sowie die Erwartung eines geringeren Strom- und Gasverbrauchs in Europa schaffen eine relativ gute Ausgangslage für den kommenden Winter. Die Speicherseen in der Schweiz sind etwas besser gefüllt als letztes Jahr. Die Wasserkraftreserve für den kommenden Winter ist bereits weitgehend gesichert und in Birr, Monthey und Cornaux stehen Reservekraftwerke bereit.
Trotz dieser positiven Aspekte kann keine Entwarnung gegeben werden. Es verbleiben bedeutende Unsicherheiten, was die sichere Versorgung Europas mit Gas oder auch die Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke anbetrifft. Noch immer ist im Falle eines sehr kalten Winters eine Gasmangellage möglich, die mit einer reduzierten Verfügbarkeit der Gaskraftwerke in Europa einhergehen würde. Zwar signalisiert die Preisentwicklung auf dem Stromterminmarkt in den vergangenen Monaten eine gewisse Entspannung. Allerdings illustrieren die jüngsten Preisausschläge bei Gas und Strom auch die anhaltende Unsicherheit und eine gewisse Nervosität bei den Marktakteuren.»
Die Energieeffizienz muss steigen und die Schweiz muss mehr Energie produzieren, vor allem im Winter. Die Fotovoltaik liefert heute knapp vier TWh Strom, gemäss Bund sollen es bis 2050 34 TWh sein. Die Wasserkraft soll die Produktion von heute 37 auf 39 TWh steigern.
Beschleunigte Verfahren
Einig sind sich Ursula Schneider Schüttel und Robert Itschner, dass Verfahren für neue Bauwerke beschleunigt werden sollten. Die Präsidentin von Pro Natura betont aber, dass rechtsstaatliche Verfahren wie eine gute Überprüfung der Projekte gewährleistet sein müssten: «Eine Interessenabwägung muss nach wie vor möglich sein.»
Am Beispiel der geplanten, aber noch nicht entschiedenen Erhöhung der Grimsel-Staumauer erläutert BKW-Chef Robert Itschner, wie lange heute ein Verfahren dauert: Bis Ende Jahr würden die Kraftwerke Oberhasli KWO (der BKW gehören 50 Prozent der KWO) ein Konzessions-Erweiterungsgesuch für die Erhöhung der Staumauer einreichen.
2024 werde der Kanton Bern das Gesuch prüfen und, falls er zustimme, könnten die KWO ein Baugesuch stellen: «Wenn wir keine Einsprachen haben, starten wir mit dem Bau frühestens 2027», so Itschner. Dieser dauere rund sechs Jahre. Das erste Baugesuch habe die KWO 2005 eingereicht. Von der Idee bis zum Start könnte es im Fall der Grimsel-Staumauer 28 Jahre dauern.
Wir sind nicht glücklich über die Staumauererhöhung, aber wir wehren uns nicht mehr dagegen.
Pro Natura wehrte sich zusammen mit anderen Organisationen bis vor Bundesgericht gegen die Erhöhung der Staumauer. Inzwischen hat sich die Naturschutzorganisation damit abgefunden. Auch, weil es bei der Erhöhung der Grimsel-Staumauer um eines der 15 Wasserkraftprojekte handelt, auf die sich der «Runde Tisch» unter Alt-Bundesrätin Simonetta Sommaruga Ende 2021 einigte: «Wir sind zwar nicht glücklich über die Staumauererhöhung, aber wir wehren uns nicht mehr dagegen», sagt Schneider Schüttel.
Stromtarife 2023/24
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Die Eidgenössische Elektrizitätskommission rechnet mit einem Anstieg der Stromtarife 2023/24. Sie schreibt auf Anfrage:
«Erstens werden die Netztarife aufgrund der vom UVEK (Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation) angehobenen Kapitalverzinsung (sog. WACC: gewichteter Kapitalkostensatz) ansteigen.
Zweitens werden die Kosten der sogenannten Winterreserve über einen Zuschlag auf dem Übertragungsnetztarif an die Endverbraucher weitergereicht.
Und drittens dürften sich bei vielen Netzbetreibern die angestiegenen Marktpreise ab 2024 stärker niederschlagen als im Vorjahr, weil ein bedeutender Teil der Beschaffungen für 2023 in der Regel noch vor dem Preisanstieg am Terminmarkt erfolgt war.»
Schafft die Schweiz die Energiewende? Der BKW-Chef gibt sich optimistisch, denn technisch seien die Herausforderungen lösbar. Und: «Wir können das schaffen, wenn wir schnell sind. Wir müssen Gas geben und einen Spirit hinkriegen in der Schweiz, wo wir umsetzen und nicht ewig debattieren.»
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