Schmerzmittel, Medikamente gegen Herz-Kreislauf-Probleme, Psychopharmaka: Das alles sind Mittel, auf die viele Patientinnen und Patienten angewiesen sind. Ärzte und Apotheker warnen seit Längerem, dass ein jederzeit verfügbarer Medikamentenschrank keine Selbstverständlichkeit mehr sei. Mit dem Coronavirus hat sich die Situation zusätzlich verschärft.
Bei Interpharma, dem Branchenverband der forschenden Pharmaunternehmen, sagt Geschäftsleiter René Buholzer: «Die Nachfrage nach Medikamenten quer durch alle Gruppen ist massiv angestiegen. Das stellt die Industrie vor Herausforderungen, insbesondere, weil gleichzeitig Grenzrestriktionen eingeführt wurden.»
Grössere Lager
Medikamente würden knapp, weil die Nachfrage weltweit grösser sei und es Verteilkämpfe gebe: «Diese erhöhte Nachfrage zeigt uns, dass nun alle für sich selbst schauen. Man kommt vom Just-in-Time-Liefersystem wieder weg und ist nicht mehr darauf angewiesen, dass täglich oder wöchentlich Nachschub kommt.»
Darum bräuchte es in den Spitälern oder Apotheken grössere Lagervorräte, sagt Buholzer. Allerdings besteht so die Gefahr, dass Medikamente ungenutzt verfallen. Wer das bezahlen soll, ist offen.
Protektionistische Überlegungen
Deshalb ist eine andere Idee aufgetaucht: Die Länder sollen wieder für sich schauen und Medikamente selbst produzieren. Severin Schwan, Chef von Roche, warnte aber an einer Online-Medienkonferenz vor der Illusion, zu meinen, Medikamente könnten innerhalb der eigenen Landesgrenzen produziert werden.
Auch Buholzer von Interpharma sagt: «Wir haben global eine arbeitsteilige Wirtschaft. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Grenzen offenhalten. Wenn alle Länder sich nicht mehr kooperativ verhalten, hat kein Land etwas davon. Diese Autarkie-Überlegungen sind nicht realistisch und naiv.»
Einzelne Wirkstoffe produzieren
Doch die angesprochene Arbeitsteilung könnte auch gewisse Möglichkeiten bieten. So könnten wenigstens einzelne, ausgewählte Wirkstoffe oder deren Vorprodukte in der Schweiz produziert werden, sagen Hersteller von Feinchemikalien in der Schweiz.
Der Chemiekonzern Lonza könnte zum Beispiel Wirkstoffe herstellen, wie das Unternehmen auf Anfrage bestätigt. Oder auch Dottikon Exclusive Synthesis in Dottikon (AG). Das Unternehmen stellt mit seinen 600 Mitarbeitenden bereits heute rund 200 Pharma-Substanzen und Feinchemikalien her.
Risikogarantie des Bundes
Markus Blocher, Chef von Dottikon Exclusive Synthesis, ist von sich aus auf den Bund zugegangen. «Wir haben dem Bund vorgeschlagen, dass wir bereit wären, Produktionskapazitäten für den Krisenfall bereitzuhalten. Damit man strategische Medikamente, die man im Voraus zu bestimmen hätte, mit kurzer Vorlaufzeit im Bedarfsfall produzieren könnte – in der Schweiz und für die Schweiz.»
Dafür müsste er die Produktionsanlagen erweitern und investieren. Dieses Risiko solle der Bund abgelten, zum Beispiel in Form von Staatsgarantien, damit das Investitionsrisiko etwas gesenkt würde, sagt Blocher.
Die Antwort des Bundes ist inzwischen eingetroffen. Man werde sich mit dem Vorschlag befassen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) erarbeite derzeit Massnahmen, die dann in einer Arbeitsgruppe geprüft würden. Die Arbeitsgruppe trifft sich voraussichtlich im Herbst.