Joseph Stiglitz ist einer der einflussreichsten US-Ökonomen der Gegenwart. Der Nobelpreisträger hat den ehemaligen US-Präsidenten Clinton beraten und schreibt auch heute noch vielbeachtete Bücher. SRF News hat den Nobelpreisträger im Vorfeld des WEF getroffen.
SRF News: Sie schreiben in Ihrem neuesten Buch, die Art und Weise, wie der Euro konstruiert sei, sei hauptsächlich Schuld am wachsenden Populismus. Warum?
Joseph Stiglitz: Die Politiker riefen den Euro ursprünglich ins Leben, um mehr Wohlstand nach Europa zu bringen und um die soziale und politische Solidarität unter den Europäern zu stärken. Aber sie bauten den Euro nicht wirklich auf ein gutes Fundament. Die Einheitswährung hätte angesichts der grossen Unterschiede der Volkswirtschaften in einen stärkeren rechtlichen und institutionellen Rahmen gebettet werden müssen, um wirklich gut funktionieren zu können.
Ich und andere Ökonomen sagten voraus, dass diese Konstruktion einem Schock nicht wirklich standhält. Als dann 2008 die Finanzkrise da war, traf das die Eurozone tatsächlich hart. Von da an hatte die Eurozone Probleme. Die Folge dieses gescheiterten Systems ist eine wachsende Desillusionierung gegenüber dem europäischen Projekt generell. Die Eliten, die gesagt haben, dass der Euro Wohlstand bringen wird, kamen in Misskredit. Die Menschen wünschen deshalb sich einen Wechsel. Der Populismus ist daher für viele eine dieser Alternativen.
91 Prozent aller Gewinne in den USA gingen an 1 Prozent der Bevölkerung.
Auch in den USA haben die Menschen mit Trump einen Populisten gewählt. Der US-Wirtschaft geht es aber im Vergleich zur Eurozone deutlich besser.
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Schon, aber die Früchte des Wachstums werden nicht fair verteilt. Nehmen wir etwa 2009 bis 2012, die Jahre der Erholung. 91 Prozent aller Gewinne in den USA gingen an 1 Prozent der Bevölkerung. Präsident und US-Notenbank sagten, wir haben uns wieder erholt. Worauf 99 Prozent der Menschen sagten, über wessen Wirtschaft reden die da? Der Graben zwischen den Eliten und den normalen Menschen wurde tiefer.
Ein Gradmesser, der zeigt, wie schlecht die Dinge in den USA laufen, ist die Lebenserwartung. Daten, die eben herausgekommen sind, zeigen, dass die Lebenserwartung in den USA zurückgegangen ist. Das zeigt, dass etwas in diesem Land nicht mehr richtig funktioniert.
Anderes Thema: Die Schweiz verhandelt derzeit mit der EU über die Einwanderung aus Europa. Was wäre so schlimm für Europa, wenn das Prinzip der Personenfreizügigkeit nicht mehr gäbe?
Das Prinzip der Personenfreizügigkeit ist auf lange Sicht gesehen grundsätzlich gut. Die EU hat aber die Folgen unterschätzt. Wenn man die Türen zwischen Ländern öffnet, die grosse wirtschaftliche Ungleichheit haben, dann wollen die Leute dahin, wo sie Arbeit und Wohlstand erwartet. Länder mit grosser Anziehungskraft fühlen sich daher unverhältnismässig hoch belastet.
Was müsste die EU anders machen?
Europäische Verantwortliche müssten in einer ersten Phase attraktive Länder für die Migrationskosten entschädigen. Vielleicht bräuchten diese Länder zwischendurch auch Einwanderungspausen, um die Migranten ins System integrieren zu können.
Nehmen Sie zum Beispiel die USA und Kanada. Diese Länder arbeiten sehr gut zusammen, aber sie haben keine volle Personenfreizügigkeit, sondern eine relativ freie Migration. Wenn die Menschen einen Job im jeweils anderen Land haben, dann bekommen sie relativ einfach eine Arbeitserlaubnis.
Jemand, der frauenfeindlich ist, rassistische Dinge sagt und autoritäre Züge hat, widerspiegelt weder die amerikanischen Werte noch die Werte der Aufklärung.
2016 war für viele ein schlimmes Jahr. Wenn Sie an die Zukunft denken: Was gibt Ihnen Hoffnung, und was raubt Ihnen den Schlaf?
Hoffnung gibt mir der Enthusiasmus jener jungen Menschen, die ich in den USA sah, als diese den US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders unterstützt haben. Ein 75-jähriger Sozialist, der so viele junge Leute begeistern konnte. Das faszinierte mich. Hoffnung gibt mir auch eine starke Bewegung, die es momentan in den Staaten gibt, genannt «Fight for $15». Laut der Bewegung soll jemand, der Vollzeit arbeitet, nicht in Armut leben müssen und im Minimum 15 Dollar pro Stunde erhalten.
Auf der anderen Seite bin ich wegen der Wahl von Donald Trump in grosser Sorge. Jemand, der frauenfeindlich ist, rassistische Dinge sagt und autoritäre Züge hat, widerspiegelt weder die amerikanischen Werte noch die Werte der Aufklärung. Ich dachte, wir hätten ein Grundverständnis, eine Akzeptanz dieser fundamentalen Werte. Die Gewissheit darüber, dass Millionen für so jemanden gestimmt haben, wühlt mich sehr auf.
Das Gespräch führte Christa Gall.