Pierin Vincenz, ehemaliger Chef von Raiffeisen Schweiz und sein Berater Beat Stocker: Sie und fünf weitere Beschuldigte müssen sich ab dem 25. Januar vor dem Zürcher Bezirksgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft Pierin Vincenz und Beat Stocker Betrug, untreue Geschäftsbesorgung, Urkundenfälschung, Veruntreuung und weitere Delikte vor.
2017 begann die Zürcher Staatsanwaltschaft zu ermitteln, 2018 kamen Pierin Vincenz und Beat Stocker für mehr als drei Monate in Untersuchungshaft.
Verdeckte Beteiligungen
Bei verschiedenen Firmenübernahmen von Raiffeisen und anderen Firmen, bei denen Pierin Vincenz und Beat Stocker in der Verantwortung standen, waren sie laut Anklage verdeckt beteiligt. Durch diese Schattenbeteiligungen bereicherten sie sich mutmasslich selbst – zum Schaden der jeweiligen Unternehmen.
Die emeritierte Professorin für Finanzrecht, Monika Roth, hat für SRF die 364 Seiten umfassende Anklageschrift analysiert. Im Besonderen die beiden zentralen Fälle der Anklageschrift: Commtrain - Aduno und Investnet - Raiffeisen.
Betrug oder untreue Geschäftsbesorgung?
Das Verhalten der beiden Hauptangeklagten beurteilt die Compliance-Expertin kritisch: «Es ist eine Untreue gegenüber dem jeweiligen Unternehmen, also auf beiden Seiten.»
Vom Sachverhalt her sieht es nicht gut aus für die Beschuldigten.
«Hier bin ich der Ansicht, das dies strafrechtlich relevant ist. Das Gericht wird zu prüfen haben: Ist es Betrug gewesen? Ist es eine untreue Geschäftsbesorgung? Aber vom Sachverhalt her sieht es nicht gut aus für die Beschuldigten», erläutert Monika Roth weiter.
Sechs Jahre Freiheitsstrafe gefordert
Pierin Vincenz und Beat Stocker: Die Staatsanwaltschaft fordert je sechs Jahre Freiheitsstrafe. Beat Stocker soll 16 Millionen Franken zurückzahlen, Pierin Vincenz 9 Millionen.
Monika Roth: «Der Vorwurf ist ja eigentlich der, dass sich Herr Vincenz und Herr Stocker durch eigene Investments zusammen in Situationen von Interessenkonflikten begeben haben, die dann die Entscheidungs-Prozesse auch beeinflusst haben. Zum Teil, so wird es geschildert, massiv - Herr Vincenz in der Bank beispielsweise. Und dann haben sie Gewinne realisiert, die nur möglich waren, weil sie eben involviert waren als Organ von der Aduno, beziehungsweise Raiffeisen.»
Spesen zulasten von Raiffeisen
Die Anklage wirft Pierin Vincenz auch Spesen in der Höhe von über 560'000 Franken zum Nachteil von Raiffeisen vor. Mehr als 200'000 Franken davon gab er laut Anklage in Cabarets, Stripclubs und Kontaktbars aus. Im Zusammenhang mit Reisen mit der Familie und Freunden zu Erholungs- und Vergnügungszwecken soll er Raiffeisen mit Flügen, Unterkünften und Verpflegung mit rund 251'000 Franken belastet haben. Auch private Anwaltskosten liess sich Pierin Vincenz laut Anklage von Raiffeisen bezahlen.
Monika Roth: «Als allgemeine Tatsache kann man sagen: Es war sicher nicht im Interesse von Raiffeisen, dass Herr Vincenz Striplokale besucht hat. Es war auch nicht im Interesse von Raiffeisen, dass er private Reisen mit Familie und Freunden gemacht hat. Da wird mutmasslich etwas hängen bleiben.»
Angeklagte äussern sich nicht gegenüber SRF
Pierin Vincenz und Beat Stocker: Gegenüber SRF äussern sie und ihre Anwälte sich nicht vor dem Prozess. An anderer Stelle haben sie die Vorwürfe zurückgewiesen. Es gilt die Unschuldsvermutung.