Die Gewerkschaften werfen den Baumeistern vor, gezielt ältere Arbeiter zu entlassen und sie später zu schlechteren Bedingungen wieder temporär einzustellen. Den Betroffenen – oftmals Ausländer oder Schweizer mit ausländischen Wurzeln – bleibt meist nicht viel anderes übrig, als das schlechtere Angebot des Arbeitgebers anzunehmen. Nur so können sie dereinst auf eine Rente hoffen, mit der sie nach der Pensionierung einigermassen leben können.
Ü50 vermehrt temporär angestellt
Tatsächlich stieg beim Bau der Bestand an Temporärarbeitern im Alter von über 50 Jahren im Jahr 2016 um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dies zeigen die Zahlen in einem vertraulichen Gutachten zuhanden der Baubranche, das SRF vorliegt. Die Zunahme an Temporärangestellten unter den älteren Arbeitern war damit deutlich stärker als in den jüngeren Alterskategorien. Ältere Zahlen des Arbeitgeberverbands Swissstaffing zeigen, dass diese Entwicklung bereits seit 2010 im Gang ist – wenn auch noch nicht im selben Ausmass.
Sie müssen in teilweise sehr unwürdigen Verhältnissen bis zur Pensionierung weiterarbeiten.
Gewerkschaftsvertreter Nico Lutz fühlt sich von diesen Zahlen bestätigt. Man habe Kenntnis von zahlreichen solchen Fällen. «Sie werden mit 50 oder 55 nach vielen Jahren in der gleichen Firma entlassen», sagt er. Die Betroffenen müssten dann die Jahre bis zur Pensionierung teilweise in «sehr unwürdigen» Verhältnissen weiterarbeiten. «Das ist sehr hart für die Betroffenen.»
Keine sichere Stelle mehr
Unwürdig deshalb, weil Temporärangestellte innert weniger Tage entlassen werden können. Deshalb schwebt stets das Damoklesschwert einer Kündigung über ihnen. Ausserdem verdienen Temporäre weniger als Festangestellte. Auch würden Temporärangestellte kaum während zwölf Monaten im Jahr beschäftigt, weiss Gewerkschafter Lutz. Im Sommer hätten sie meist Arbeit, im Winter aber müssten viele stempeln gehen. Dadurch komme es zu grossen Beitragslücken, was später eine Frühpensionierung verunmögliche.
Die Möglichkeit einer Früh- und Übergangsrente ab 60 Jahren bis zum ordentlichen Pensionsalter sieht der Gesamtarbeitsvertrag vor, der im Bauhauptgewerbe gilt. Angestellte erhalten diese Rente aber nur dann, wenn sie in den letzten sieben Jahren während maximal zweier Jahre arbeitslos waren. Diese zwei Jahre seien mit den arbeitsfreien Wintermonaten schnell einmal erreicht, sagt Lutz.
Baumeister brauchen flexible Arbeitskräfte
Auch beim Baumeisterverband geben die Zahlen zu reden. Zwar weiss auch Mediensprecher Matthias Engel nicht, warum der Bestand an Temporärarbeitern bei den Ü50 überdurchschnittlich stark wächst. Er nennt aber Faktoren, die für diesen Trend mitverantwortlich seien. Dass ältere Arbeitslose häufig nur eine Temporärstelle angeboten bekommen und keine Festanstellung, habe mit strengen rechtlichen Vorgaben zu tun, sagt er.
Der Bau ist eine Branche, in der man sehr flexibel sein muss.
So dauere die Kündigungsfrist bei älteren Arbeitnehmern doppelt so lange wie bei jüngeren. Auch müsse einem Bauarbeiter auf Arbeitssuche derselbe Mindestlohn bezahlt werden, den er bei seiner letzten Tätigkeit auf dem Bau hatte – auch wenn das mehrere Jahre her sei und er andere Aufgaben gehabt habe, sagt der Mediensprecher der Baumeister.
Grosser Zeitdruck auf dem Bau
Von einer systematischen Diskriminierung der älteren Angestellten auf dem Bau will Engel aber nicht reden. Dass die Temporärarbeit auf dem Bau ganz allgemein zunehme, habe vor allem mit dem Zeitdruck zu tun, der auf den Unternehmen laste. «Die Aufträge müssen schnell und zu bestimmten Jahreszeiten ausgeführt werden», sagt er. Um dies leisten und mit grossen – auch ausländischen – Unternehmen konkurrieren zu können, müssten sich lokale KMU in der Baubranche punktuell verstärken können. Sie müssten also temporär Leute einstellen, wenn für sie Bedarf sei.