Der US-Flugzeughersteller Boeing kommt nicht aus den negativen Schlagzeilen heraus. Im Wochentakt gibt es Berichte über verlorene Räder oder Türen, brennende Triebwerke oder technische Probleme, die ein Absacken in der Luft zur Folge haben, wobei Passagiere verletzt werden.
Jetzt veröffentlichte die «New York Times» Teile des Untersuchungsberichtes der US-Luftaufsichtsbehörde FAA. Sie stellt Boeing ein miserables Zeugnis aus.
Whistleblower stirbt unter Gewalteinwirkung
Hinzu kommt aktuell der Tod eines Boeing-Whistleblowers unter Gewaltanwendung. Der 62-jährige Ingenieur wurde tot in seinem Auto in South Carolina aufgefunden. Sein Körper wies Wunden auf, wie es in ersten Medienberichten heisst.
Der Mann war ein Leben lang für Boeing tätig gewesen und befand sich in South Carolina, um vor einem Gericht gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber auszusagen. Der Ingenieur hatte seit 2019 öffentlich auf Sicherheitsprobleme bei Boeing aufmerksam gemacht.
Der FAA-Bericht seinerseits stützt Aussagen des ehemaligen Boeing-Ingenieurs. Laut der «New York Times» überprüfte die FAA während sechs Wochen 89 Produktionsprozesse und Produkte von Boeing.
Fazit: Bei 33 Audits erfüllte Boeing die gesetzlichen Sicherheits- und Qualitätsstandards nicht. Der Boeing-Hauptzulieferer Spirit Aero Systems, der unter anderem den Rumpf der Boeing-Maschinen baut, erfüllte die Vorgaben in sechs von 13 Fällen nicht.
Schmierseife zum Schmieren von Türbolzen
Offenbar fehlen Dokumentationen von Produktionsprozessen. Auch Unterlagen zur abgerissenen Bordwand einer Alaska-Maschine im Januar können weder Boeing noch Spirit liefern. In anderen Fällen stellte die FAA fest, dass Schmierseife verwendet wurde, um Türbolzen zu schmieren.
Oder es wurde mit Hotelschlüssel-Karten getestet, ob Türen dicht sind. Für Experten zeichnet sich immer deutlicher ab, dass Boeing die Kontrolle über seine Wertschöpfungskette verloren hat.
Mitverantwortlich für das Debakel ist die Auslagerung des Baus der Rumpfteile. 2005 wurde dieser Firmenteil, der 80 Jahre lang zu Boeing gehört hatte, abgespalten. Er wurde an Investoren verkauft und unter dem Namen Spirit Aerosystems an die Börse gebracht.
Man glaubte, mit der Auslagerung billiger produzieren zu können. Doch das ging offenbar auf Kosten von Qualität und Sicherheit. Spirit hat in den letzten vier Jahren 2.5 Milliarden Dollar Verlust geschrieben.
Abspaltung wird rückgängig gemacht
19 Jahre nach der Auslagerung kommt jetzt die strategische Kehrtwende: Vor einer Woche kündigte Boeing an, Spirit wieder re-integrieren zu wollen. Das halten Experten für den einzig richtigen Schritt. Denn die Abspaltung dieses Kerngeschäftes sei ein kapitaler Fehlentscheid gewesen.
Man erkenne ihn daran, dass 60 Prozent der Spirit-Produktion an Boeing gehe. Das macht der europäische Konkurrent Airbus ganz anders: Er fertigt das Wichtigste in Eigenregie und hat so den Wertschöpfungsprozess unter Kontrolle.
Mit der Re-Integration von Spirit ist es aber noch nicht getan. Boeing braucht auch mehr Fachleute mit der nötigen Berufserfahrung. Doch viele von ihnen wurden in der Pandemie entlassen. Auch muss die Firmenkultur Sicherheit und Qualität wieder belohnen. Das will Boeing nun mit einem neuen Bonus-System erreichen.