Seit der Coronakrise pendeln noch mehr Menschen mit dem Velo zur Arbeit als früher. Und auch in der Freizeit schwingen sich mehr Menschen in den Sattel. Neue Velos und Verschleissteile wie Pneus finden deshalb reissenden Absatz, beobachtet Bruno Herrmann. In seinem Online-Shop bikeimport.ch hat er 16'000 Komponenten im Sortiment.
«Von heute auf morgen haben wir 200 Prozent mehr Verschleissteile verkauft», sagt Herrmann. Viele Leute haben dieses Jahr auch ihre alten Drahtesel wieder instand gestellt – und das nicht nur in der Schweiz. Als Folge davon waren gewisse Komponenten wie Bremsbeläge oder -scheiben zeitweise in ganz Europa ausverkauft.
Die ganze Welt fährt Velo
Doch nicht nur in Europa, sondern weltweit ist die Nachfrage nach neuen Velos und Komponenten gross. Das ist neu. Zudem standen die Fabriken in Taiwan und Japan wegen der Coronakrise zeitweise still. In diesen Ländern produzieren die grossen Zulieferer. Deshalb sind gewisse Teile gar nicht, nicht in genügender Zahl oder nicht zum gewünschten Zeitpunkt verfügbar.
Es ist nicht immer sinnvoll, in Asien zu produzieren.
Selbst Scott als weltweit drittgrösster Veloproduzent bekomme das zu spüren, erklärt Marketingchef Reto Aeschbacher. Er spricht von einem «logistischen Meisterwerk», um Velos mit ihren vielen Teilen verkaufsfertig hinzubekommen. «Zurzeit ist das sehr anspruchsvoll.» Der Sportartikel-Hersteller Scott mit Sitz im freiburgischen Givisiez ist in über 100 Ländern präsent und verkaufte weltweit alleine dieses Jahr fast eine Million Velos.
Grosses Lager als Riesenvorteil
Bruno Herrmann von Bikeimport betont, dass in der aktuellen Situation gute Beziehungen zu Lieferanten hilfreich seien, um an die Komponenten zu kommen. Und auch sein Lager habe ihm geholfen, die Nachfrage weitgehend decken zu können. «Inzwischen verlassen wir uns nicht mehr darauf, dass die Lieferanten jeden Tag nachliefern», sagt er. Man sei deshalb daran, das eigene Lager weiter aufzustocken.
Lange ist in der Branche die Strategie «heute bestellen – morgen produzieren – übermorgen liefern» aufgegangen. Doch spätestens die Coronakrise hat dieses Muster über den Haufen geworfen. Das musste jüngst beispielsweise auch die Autoindustrie erfahren.
Vermehrt wieder in Europa produzieren
Im Fahrradbereich hatten gewisse Unternehmen schon vor Corona einen Teil ihrer Produktion in Europa angesiedelt: Bosch etwa stellt die Motoren für die E-Bikes in Ungarn her. Auch Scott hat dort eine Fabrik, was sich jetzt zusätzlich auszahle, sagt Aeschbacher. Dies habe auch den Vorteil, näher am Markt zu sein. «Es ist nicht immer sinnvoll, in Asien zu produzieren.»
Die Branche ist sich bewusst, dass der Boom nicht ewig anhalten wird. Deshalb werden die Produktionskapazitäten bestenfalls nur moderat ausgebaut. Die velofahrende Kundschaft muss darum wohl auch in nächster Zeit mit gewissen Verzögerungen rechnen, wenn sie es auf ein ganz spezielles Zweirad oder bestimmte Komponenten abgesehen hat.