Wenn das Mittelland unter der winterlichen Hochnebeldecke liegt, herrscht in den Bergen häufig ungetrübter Sonnenschein. Diesen könnten Fotovoltaik-Module in elektrischen Strom umwandeln. Tiefere Temperaturen und intensivere Strahlung führen dazu, dass die gleichen PV-Module in den Alpen bis zu 40 Prozent mehr Strom produzieren als im Mittelland.
Das sagt Michael Lehning, Professor der ETH Lausanne und am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos: «Das Potenzial ist gross und liegt nach unseren Berechnungen bei zehn Terawattstunden.» Das entspräche einem Viertel der gesamten Sonnenstromproduktion, die der Bund bis 2050 vorsieht.»
Gegen die Winterstromlücke
Der grosse Vorteil von Sonnenstrom aus den Alpen liegt darin, dass sie auch in den Wintermonaten Strom liefern, dann also, wenn die Schweiz nach dem Abschalten der Kernkraftwerke noch verstärkt auf Stromimporte aus dem Ausland angewiesen sein wird.
Die sogenannte Winterstromlücke könnte damit laut Lehning zumindest zur Hälfte gut geschlossen werden. Für mehr brauche es zusätzliche Anstrengungen.
Offen und umstritten ist, wo diese Solaranlagen gebaut werden. Sogenannte Freiflächen-Anlagen, wie sie derzeit in den Walliser Gemeinden Gondo und Grengiols geplant sind, stossen bei Naturschützerinnen und -schützern auf Widerstand.
Diese wertvollen Räume jetzt auch noch technisch zu erschliessen, wäre aus unserer Sicht fatal.
Wenig Freude hat etwa Sebastian Moos von der Organisation Mountain Wilderness: «Das raue und unerschlossene Gebiet, wo ‹Gondo Solar› zu stehen käme, ist geprägt von unglaublicher Ruhe. Diese wertvollen Räume jetzt auch noch technisch zu erschliessen, wäre aus unserer Sicht fatal.»
Stella Jegher, Leiterin Politik und Internationales bei Pro Natura, betont, dass sie nicht grundsätzlich gegen Fotovoltaik in den Alpen sei: «Wir gehen auch im alpinen Raum von einem ganz grossen Potenzial auf bereits bebauten Flächen aus.»
Wir gehen auch im alpinen Raum von einem ganz grossen Potenzial auf bereits bebauten Flächen aus.
Wie viele solcher Flächen es zum Beispiel in Skigebieten gibt, ist bisher aber unklar. Boris Previšic, Direktor des Instituts Kulturen der Alpen in Luzern, versteht die Anliegen des Naturschutzes. Er stellt aber fest, dass «unberührt» angesichts des Klimawandels nicht länger «geschützt» heisse.
Es sei im Gegenteil damit zu rechnen, dass die Alpen in nicht so ferner Zukunft ganz anders aussehen. Es werde keine Gletscher mehr geben und die Vegetation werde sich ganz anders verhalten: «Darum müssen wir uns auch leisten können, die Fotovoltaik als effizientesten Energieträger in den Alpen an den richtigen Orten zu installieren.»
‹Unberührt› heisst angesichts des Klimawandels nicht länger ‹geschützt›.
Noch ist diese neue Art von Baute im Schweizer Gesetz nicht vorgesehen. Die Urner Ständerätin Heidi Zgraggen (Die Mitte) hat den Bundesrat in einem Vorstoss aufgefordert, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen: «Es ist ein gigantischer Eingriff in unberührte Flächen. Deshalb müssen unbedingt zuerst die Rahmenbedingungen geklärt werden. Etwa, dass die Erschliessung bereits gegeben ist.»
Es ist ein gigantischer Eingriff in unberührte Flächen. Man muss zuerst die Rahmenbedingungen klären.
Offen ist auch, wie solche Anlagen finanziert werden können. Laut Schätzungen käme eine Kilowattstunde Sonnenstrom aus den Alpen rund doppelt so teuer wie aus eine Anlage im Mittelland.
Auch wächst in den Gebirgskantonen der Wunsch nach einer Entschädigung, analog zu den Wasserzinsen. Bis alle Fragen politisch geklärt sind, dürften Jahre vergehen. Jahre, welche die Schweiz im Kampf gegen den Klimawandel nicht hat.