- Ex-Syngenta-Forscher Jon Heylings sagt, der Hersteller müsste dem Pestizid Paraquat deutlich mehr Brechmittel beifügen.
- Die heutige Menge schütze unzureichend vor Vergiftungen. In Entwicklungsländern begehen verzweifelte Bauern Suizid mit Paraquat.
- Die NGO Public Eye hat dazu der «Rundschau» und anderen internationalen Medien hunderte Seiten Konzern-interne Dokumente übergeben.
- Syngenta bestreitet sämtliche Vorwürfe. Das Brechmittel sei korrekt dosiert und mehr Brechmittel würde nicht helfen.
«Ich kann nachts nicht schlafen, wenn ich daran denke, dass irgendwo auf der Welt ein Mensch Gramoxone schluckt», sagt Jon Heylings der SRF-Sendung «Rundschau». «Bei einem Kind reicht nur ein Löffel und es stirbt», so der ehemalige Syngenta-Chemiker. Syngenta verkauft Paraquat unter dem Markennamen Gramoxone. Whistleblower Heylings hat jahrzehntelang für die Industrie zur Sicherheit von Paraquat geforscht. Jetzt erhebt er schwere Vorwürfe.
Paraquat ist hochwirksam gegen Unkraut. Gleichzeitig sind seit der Einführung vor über 50 Jahren tausende Menschen daran gestorben. Es sind vor allem verzweifelte Bauern in Entwicklungsländern, die damit Suizid begehen. Whistleblower Heylings ist überzeugt, dass man Menschenleben retten könnte: «Es gibt eine einfache Lösung. Man müsste deutlich mehr Brechmittel beimischen, damit das Opfer das Gift sofort erbricht.»
Seit den 1970er-Jahren mischt die Industrie Paraquat ein Brechmittel bei. Rasches Erbrechen soll vor dem Vergiftungstod retten. Heylings hatte schon als junger Forscher mehrmals gefordert, bis zu zehnmal mehr Brechmittel beizumischen – erfolglos. Die von ihm kritisierte Formel ist mittlerweile Standard bei Syngenta und anderen Herstellern.
Syngenta wehrt sich
«Syngenta hat sich intensiv mit Jon Heylings und seinen Argumenten auseinandergesetzt», schreibt der Konzern der «Rundschau». Doch es gebe «keine klinischen Erkenntnisse», die eine Erhöhung des Brechmittels rechtfertigen würden. «Obwohl es auf den ersten Blick verlockend klingen mag, ist Heylings' Argument für eine massiv höhere Dosis eines Brechmittels stark vereinfachend», so Syngenta. Er lasse eine Vielzahl anderer wissenschaftlich abgestützter Punkte ausser Acht. «Sowohl die moderne medizinische und wissenschaftliche Meinung wie auch angesehene Organisationen wie die US-Umweltschutzbehörde EPA und die FAO/WHO unterstützen Heylings' Standpunkt nicht.»
«Die medizinische Meinung hat sich in den 30 Jahren seit Jon Heylings erster Arbeit an diesem Produkt weiterentwickelt», erwidert Syngenta die Kritik. Mehr Brechmittel könne sogar zusätzliche gesundheitliche Schäden verursachen «und die Toxizität erhöhen». Der Konzern stützt sich dabei unter anderem auf ein Gutachten des US-Toxikologen Jeff Brent.
Doch mehrere – für Syngenta umstrittene – Studien stützen Heylings Argumentation. Bei Tierversuchen mit Affen und Hunden hat sein Ansatz funktioniert: Mit mehr Brechmittel haben die Tiere höhere Dosen Paraquat überlebt. Syngenta hat zudem in Sri Lanka zwischenzeitlich eine neue Mischung auf den Markt gebracht, die unter anderem dreimal mehr Brechmittel enthielt. Eine grosse Studie zeigte leicht bessere Überlebenschancen.
Neues Verpackungssystem angekündigt
Die Firma betont, sie habe hunderte Millionen in die Verbesserung von Paraquat-Produkten investiert. Syngenta setze stark auf die Schulung von Landwirten. Den Paraquat-Produkten seien Farb- und Geruchsstoffe beigemischt – damit niemand irrtümlicherweise davon trinke. Syngenta will zudem ein neues Verpackungssystem lancieren, das die Sicherheit weiter verbessern soll.
Für Jon Heylings aber ist mehr Brechmittel noch immer die beste Option. Denn in Entwicklungsländern sei die medizinische Versorgung oft schlecht – Erbrechen könne hier Leben retten. Diesen Frühling werden die gesundheitlichen Risiken von Paraquat auch die US-Justiz beschäftigen. In diesem Rahmen wird auch Heylings aussagen. Er sagt: «Diese Frage raubt mir seit Jahren den Schlaf. Ich möchte endlich abschliessen können.»