Die europäische Wasserstoff-Messe «Hyvolution» in Paris ist ein wichtiger Gradmesser der Wasserstoff-Branche. In einer grossen Halle auf dem Messegelände reiht sich Stand an Stand. Ausgestellt werden Sicherheitsventile, Speicherlösungen, Antriebe für Schiffe oder Autos, gar ganze Lastwagen.
An einem Stand präsentiert Jung Dong Woon seine Innovation. Es ist kein grosses Tanksystem, sondern ein unscheinbares, beiges Klebeband. «Wenn das Band mit Wasserstoff in Kontakt kommt, verändert es seine Farbe in blau oder schwarz», erklärt Dong Woon. Kleinste Partikel Palladium würden mit dem Wasserstoff reagieren und sich verfärben. Die Erfindung des südkoreanischen Klebeband-Herstellers Daehyun soll helfen, Lecks in Leitungen oder Rohranschlüssen zu finden. Denn Wasserstoff ist ein hochexplosives Gas. Entsprechend stösst das beige Band an der Messe auf grosses Interesse.
«Wasserstoff ist gekommen, um zu bleiben», ist Carola Kantz überzeugt. Sie vertritt die Wasserstoffbranche im deutschen Maschinen- und Anlage-Bau-Verband und hat sich in der Messehalle umgesehen. Seit Jahrzehnten habe man vom Potenzial von Wasserstoff geredet, nun stehe er vor dem Marktdurchbruch. «Wir brauchen ihn für die Dekarbonisierung unserer Energie und um uns unabhängiger zu machen.»
Milliardenteure Investitionen
Der Wasserstoff soll aber nicht nur ein alternativer Treibstoff für Fahrzeuge sein, sondern die Industrie versorgen, welche Unmengen an Energie verbraucht. Auch Unternehmer Jonathan Weber will auf grünen oder klimaneutralen Wasserstoff setzen. Er gehört zur Geschäftsleitung der Stahl Holding Saar, eines der grössten Stahlproduzenten in Deutschland mit 14'000 Angestellten.
Wir haben noch keine eigentliche Definition von grünem Stahl, so wie wir auch noch keine von grünem Wasserstoff haben.
Ab 2027 will Weber grünen Stahl produzieren. Neue Öfen, die mit Strom und Wasserstoff funktionieren, sollen die Kohleöfen ersetzen. Um die milliardenteuren Investitionen tragen zu können, setzt er auf Unterstützungsgelder der EU. Doch er steht vor einem Problem: «Wir haben noch keine eigentliche Definition von grünem Stahl, so wie wir auch noch keine von grünem Wasserstoff haben.»
Die Europäische Union hat zwar mit dem European Green Deal festgelegt, dass Europa bis 2050 klimaneutral sein soll. Doch nach wie vor fehlen genaue Regeln, wer wann Anspruch hat auf die Fördergelder, die Unternehmen beim Wandel zu erneuerbaren Energien unterstützen sollen. Doch Weber kann nicht mehr lange warten. Die neuen Fabriken müssen gebaut werden: «Hier muss man einfach pragmatischer werden und auch verstehen, dass wir in einer Übergangsphase nicht hundertprozentig grün sein werden können.»
«Die Politik ist zu langsam beim Ausarbeiten neuer Regeln und dem Erteilen von Bewilligungen», räumt Rosalinde Van der Vlies ein. Sie ist in der EU-Kommission Direktorin von Clean Planet. Der Wandel sei aber sehr komplex. Es gehe nicht nur um technische Innovationen. Auch die Bevölkerung müsse den Wandel mitmachen. Dieses Vertrauen müsse erst geschaffen werden.
Die Politik ist zu langsam beim Ausarbeiten neuer Regelungen und dem Erteilen von Bewilligungen.
Nicht auf die Entscheide der Politik warten mag Thierry Lepercq. Der Energieunternehmer hat schon früh auf Solarstrom gesetzt. Nun will der Franzose mit dem Konsortium Hydeal klimaneutralen Wasserstoff in grossen Mengen für die Industrie anbieten. «Ich habe erst ermittelt, wo die grösste Nachfrage herrscht. Und das ist in der Industrie», erklärt er sein Geschäftsmodell: «Ich schliesse langfristige Lieferverträge mit den Abnehmern ab. Sie sichern sich preiswerte Energie, ich erhalte so das Geld für die Investition in die Anlagen.»
Grüner Wasserstoff ab 2026
Mit seinem Konsortium will Lepercq die gesamte Wertschöpfungskette abdecken, von der Produktion in Portugal und Spanien über Pipelines bis zu den Industriekonzernen als Abnehmer. Ab 2026 will er ersten grünen Wasserstoff liefern. Und das werde eine Kettenreaktion auslösen: «Dank der Nachfrage der Industrie entsteht eine neue Wasserstoff-Infrastruktur und wächst auch das Angebot von klimaneutralem Wasserstoff. Und davon wird in einem zweiten Schritt die Mobilität profitieren, die Autos, Lastwagen und Schiffe.»
Ich schliesse langfristige Lieferverträge mit den Abnehmern ab. Sie sichern sich preiswerte Energie, ich erhalte so das Geld für die Investition in die Anlagen.
Trotzdem dürfte es eine Herausforderung sein, in Europa selbst genügend grünen Wasserstoff produzieren zu können, um Erdgas, Kohle und Erdöl als Energieträger abzulösen. Thierry Lepercq will ein weltweites Wasserstoffnetz aufbauen: «Bis 2030 brauchen wir 20 Millionen Tonnen Wasserstoff, in den Jahren darauf noch viel mehr. 90 Prozent der europäischen Produktion wird aus Spanien und Portugal stammen, 90 Prozent des weltweiten Angebots aus Afrika.»
Mit gross angelegten Investitionen in Afrika will er sich dank des grossen Angebots an Sonne gigantische Mengen günstigen Wasserstoff sichern. Gleichzeitig sollen die afrikanischen Staaten von Wasseranschlüssen profitieren, die für die Wasserstoffproduktion benötigt werden, und – so Lepercqs Vision – von vielen neuen Jobs. Es gebe nachhaltigere Wege, den Energiereichtum Afrikas zu erschliessen, als jene, die Energiekonzerne in den vergangenen Jahrzehnten gewählt hätten, ist der Unternehmer überzeugt.
Energie speichern mit Wasserstoff
Grüner Wasserstoff ist ein wichtiges Bindeglied, um erneuerbare Energie aus Sonne oder Wind speicherbar zu machen und Angebotsschwankungen auszugleichen. Die Euphorie der Branche ist an der Wasserstoffmesse zwar deutlich spürbar, aber wichtige Fragen sind nach wie vor nicht geklärt. Ob sich die benötigten milliardenteuren Investitionen auch rechnen, wird sich zeigen und hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob die Politik die Rahmenbedingungen schafft, um eine entsprechende Infrastruktur aufzubauen.
Klar wird aber auch: Ähnlich wie bei den fossilen Energieträgern wird die Versorgung von Wasserstoff kaum Aufgabe von einzelnen Staaten sein, sondern internationale Absprachen und auch Abhängigkeiten bedingen.