Tausende von Milliarden hat die Weltgemeinschaft gesprochen, um die Wirtschaft vor den Folgen von Corona zu schützen. Das Geld kann den Umbau in eine klimafreundlichere Welt vorantreiben oder den Ist-Zustand zementieren.
«Diese Konjunkturpakete müssen Anreize für saubere Energie beinhalten. Es ist eine historische Chance», sagt Fatah Birol.
Der Chef der Internationalen Energieagentur weibelt bei den Staats- und Regierungschefs für eine umweltfreundlichere Energiepolitik und will das Thema auf die Agenda des nächsten G20-Gipfels setzen.
Es geht um das Überleben einer Branche
Der Blick auf die Schweizer Autohändler zeigt, dass der Wind in einigen Wirtschaftszweigen in eine andere Richtung weht.
Es sei jetzt nicht die Zeit, über Umweltthemen in aller Detaillierung zu sprechen, jetzt gehe es um das Überleben einer Branche, sagt Marcel Guerry, Geschäftsführer von Emil Frey Schweiz, einem der grössten Autohändler Europas.
In den vergangenen zwei Monaten seien in der Schweiz praktisch keine Autos verkauft worden, und neue Fahrzeuge könnten nur mit Verzögerung geliefert werden, weil die Hersteller ihre Werke erst langsam wieder öffnen.
«Wir können die benötigten Fahrzeuge nicht bestellen», sagt Morten Hannesbo, Chef des grössten Schweizer Autoimporteurs Amag. «Die neuen Technologien sind viel teurer als kleine Benziner oder Diesel. Es ist eine unmögliche Aufgabe, die CO2-Ziele 2020 zu erreichen.»
Die Branche habe in den vergangenen Jahren viel in Elektroautos und Plugin-Hybride investiert, so Hannesbo weiter. Doch deren Verkäufe würden nun wegen Corona blockiert.
Forderungen der Autobranche
Die Autobranche verlangt deshalb vom Bund, dass sie die CO2-Ziele für Neufahrzeuge für 2020 aussetzt: «Gebt uns einfach ein Jahr mehr Zeit», fordert Marcel Guerry und verweist auf andere Branchen, die wegen der Corona-Krise ebenfalls Unterstützungsmassnahmen vom Bund geltend machten.
Konkret wollen die Schweizer Autoimporteure die Strafsteuern für Autos aussetzen, die ab diesem Jahr für Neuwagen gelten, die mehr als 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen.
In der EU sind ähnliche Begehrlichkeiten zu beobachten.
Beispiel Deutschland: Die deutschen Autobauer – eben noch in den Dieselskandal verwickelt – wollen eine sogenannte «Innovationsprämie». Wobei sie mit innovativ nicht nur umweltfreundliche Autos meinen, sondern auch gewöhnliche Benzin- und Dieselfahrzeuge. Ein Ansinnen im Stil der Abwrackprämie von 2008, die letztlich der deutschen Wirtschaft kaum half.
Auch die Lufthansa hält die Hand auf und fordert Staatshilfe in Höhe von 9 Milliarden Euro. Aber Zugeständnisse will sie keine machen. Eine aktive Beteiligung des Staates an der Fluggesellschaft lehnt sie ab, da sie strengere Umweltauflagen befürchtet.
«Die Sache ist heikel, denn es geht um systemrelevante Branchen», sagt SRF-Deutschland-Korrespondentin Bettina Ramseier. «Allein an der Auto-Industrie hängen in Deutschland bis zu 1.8 Millionen Jobs.»
Die Lobbyisten ringen mit den Regierungen um Milliarden. Sie wollen Hilfe, sie wollen Geld, und sie wollen Erleichterungen von lästigen Umweltauflagen.
Klimakrise lässt sich nicht verdrängen
Umweltschützer Patrick Hofstetter von WWF Schweiz hat für Forderungen wie jene der Schweizer Autohändler kein Verständnis. «Es sind noch genügend Fahrzeuge verfügbar – auch klimafreundliche – gerade weil zuletzt ja praktisch keine verkauft werden konnten.»
Zudem habe die Schweiz schon heute laschere CO2-Vorgaben als die EU. «Es stört mich, dass die Autolobby dies nicht realisiert», so Hofstetter. «Die Klimakrise lässt sich nicht durch ein Virenproblem verdrängen», sagt er weiter.
Auch Ursula von der Leyen, Präsidentin der europäischen Kommission, warnt: «Jetzt, wo wir planen, Milliarden von Euro zu investieren, um unsere Wirtschaft und unsere Arbeit wieder anzukurbeln, sollten wir nicht in alte, umweltschädliche Gewohnheiten zurückfallen.»
Sie will ihrem Prestigeprojekt, dem «Green Deal», zum Durchbruch verhelfen. Jetzt erst recht sei der Moment gekommen, Europa bis 2050 CO2-neutral zu machen.
Angesichts einer implodierenden Wirtschaft und einer explodierenden Arbeitslosigkeit hat es der Klimaschutz schwer. Europa muss sich entscheiden: Fortschritt oder Rückschritt.