Das Militärbündnis Nato hat durch den Ukraine-Krieg stark an Bedeutung gewonnen. Die Schweiz ist kein Mitglied. Das sei ihre souveräne Entscheidung, sagt der Nato-Generalsekretär am World Economic Forum in Davos. Er lässt aber durchblicken, dass es noch zahlreiche Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt.
SRF News: Herr Generalsekretär, was ändert der Krieg gegen die Ukraine für die Rolle der Schweiz in Europa?
Jens Stoltenberg: Wir leben in einer Welt, die gefährlicher geworden ist. Wir haben gesehen, dass Russland bereit ist, Gewalt gegen unabhängige, souveräne Staaten anzuwenden. Es ist nicht an mir, daraus Lehren für die Schweiz zu ziehen. Für die Nato kann ich sagen, dass wir den Zusammenhalt zwischen den Mitgliedsaaten stärken konnten.
Wir setzen im Osten auf mehr Abschreckung: nicht um Konflikte zu provozieren, sondern um Konflikte zu verhindern. Solange Russland weiss, dass ein Angriff auf einen Nato-Staat ein Angriff auf die ganze Nato wäre, wird Russland nicht angreifen. Das sichert den Frieden.
Die Schweiz liegt mitten im Nato-Territorium. Manche sagen, die Schweiz sei eine Trittbrettfahrerin der Nato. Stimmen Sie dem zu?
Die Schweiz ist eine sehr geschätzte Partnerin. Wir respektieren die Neutralität der Schweiz. Es ist an der Schweiz zu entscheiden, ob sie weiter ein neutraler Staat sein will oder ob sie zur Nato kommen will. Das ist einzig und allein ein Entscheid der Schweiz.
Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck sagt, er würde sich wünschen, dass auch die Schweiz Militärgüter an die Ukraine liefert. Sehen Sie das auch so?
Ich verstehe, dass Deutschland und auch Dänemark für die Wiederausfuhr von Militärgütern auf Schweizer Zertifikate angewiesen sind und das begrüssen würden.
Wir könnten technologisch enger zusammenarbeiten.
Es geht darum, die Ukraine zu unterstützen. Die Ukraine braucht Unterstützung gegen Russland.
Sie sagen, die Schweiz soll mehr tun?
Ich sage, dass die Mitgliedstaaten der Nato und auch ihre Partner alles tun sollten, was in ihrer Macht steht, um eine Weltordnung zu verteidigen, die auf dem Recht beruht. Und ich begrüsse, wenn die Ukraine Unterstützung erhält.
In der Schweiz gibt es eine Debatte über eine engere Zusammenarbeit mit der Nato. Wie könnte die ganz konkret aussehen?
Wir würden eine engere Zusammenarbeit begrüssen. Die Schweiz unterstützt bereits die Nato-Mission im Kosovo, das begrüssen wir sehr. Wir könnten technologisch enger zusammenarbeiten, auch was die Cyber-Sicherheit betrifft, wir könnten mehr gemeinsame Übungen durchführen.
Es gäbe viele Bereiche – immer mit Respekt für die Neutralität und für die Entscheide der Schweiz. Darüber habe ich heute hier in Davos mit der Schweizer Verteidigungsministerin gesprochen.
Hätten Sie die Schweiz gern in der Nato?
Nein. Ich habe dazu keine Meinung. Es ist mir extrem wichtig, mich nicht in innenpolitische Debatten einzumischen. Ich habe Finnland oder Schweden nie einen Ratschlag erteilt. Ich werde der Schweiz keinen Ratschlag erteilen.
Natürlich begrüssen wir, wenn sich ein neutrales Land für die Mitgliedschaft entscheidet, aber das ist einzig und allein seine Entscheidung.
Das Gespräch führte Sebastian Ramspeck.