Künstliche Intelligenz (KI) wird unser Wirtschaftssystem nicht umwälzen, sondern den Wachstumszwang des Kapitalismus perfektionieren. Viele Arbeiten sollen durch KI schneller und effizienter erledigt werden. Volkswirtschaftsprofessor Mathias Binswanger hat dazu das Buch «Die Verselbstständigung des Kapitalismus» geschrieben.
SRF News: Herr Binswanger, Sie sagen, dass KI keine Umwälzung der Wirtschaft mit sich bringt, sondern lediglich die Logik des Kapitalismus fortsetzt.
Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, dessen Ziel es ist, Gewinne zu erwirtschaften. KI kann Entscheidungen schneller treffen und besser optimieren. KI-gesteuerte Algorithmen sind bessere Manager als Menschen. Zudem wird die Beeinflussung der Konsumentinnen und Konsumenten einfacher.
Wird sich der Kapitalismus durch die KI verselbständigen?
Genau. Wir kennen heute schon Vergleichsportale, auf denen wir verschiedene Produkte und Dienstleistungen miteinander vergleichen können. Nehmen wir die Krankenkassen. Dort kann man Tarife, Bewertungen und andere Faktoren der verschiedenen Krankenkassen miteinander vergleichen und Entscheidungen treffen. KI kann künftig die Angebote der Krankenkassen in viel kürzerer Zeit durchsuchen, bezieht bereits Bewertungen mit ein und kennt die Verbraucherinnen und Verbraucher und ihr Konsumverhalten. Verträge können direkt von der KI abgeschlossen werden, und was ich als Konsument wissen muss, ist, dass die für mich «beste» Versicherung abgeschlossen wurde.
Das Problem dabei ist, dass man nicht nachvollziehen kann, aufgrund welcher Faktoren diese Entscheidung getroffen wurde und welche Interessen diese Entscheidung geleitet haben. Souveränität des Konsumenten kann schnell zur Abhängigkeit von Algorithmen werden und das im Namen der Bequemlichkeit.
KI-gesteuerte Algorithmen sind bessere Manager als Menschen.
Sie sagen, durch KI wird die Bürokratie zunehmen. Warum?
Um die KI zu verbessern, brauchen wir immer mehr Daten, in Echtzeit. Wir haben Sensoren, Mikrofone und Kameras, die Daten sammeln, die helfen, die KI zu verbessern. Nehmen wir zum Beispiel die Finanzindustrie. Sammle ich eine Menge Daten für mein Portfolio, ist mir das nur so lange von Nutzen, bis andere diese Daten auch sammeln. Sobald das der Fall ist, muss ich die Intervalle zwischen den Datenerhebungen verkürzen. Die Datenmenge nimmt exponentiell zu. Mit dieser Datenmenge umzugehen, wird immer schwieriger. Am Ende bin ich vielleicht sogar weniger informiert. Am Ende laufen wir der Realität immer mehr hinterher, obwohl wir mehr Daten haben.
Ihr Fazit ist, die Algorithmen werden nicht zu wohlwollenden Sklaven der Menschheit?
Nein, denn wie bei jeder Innovation gibt es auch bei der KI-Interessen. Letztlich will der Mensch Geld verdienen, und das ist auch hier nicht anders. Hinter der Anwendung von KI stehen wirtschaftliche Ziele. Einige wenige Anbieter, sogenannte Big Tech Companies wie Google oder Amazon investieren horrende Summen in die Entwicklung. Dadurch entsteht eine enorme Marktmacht, die ausgenutzt werden kann. Die Anbieter von KI sind besser informiert als die Nutzer von KI, was die Einflussnahme erleichtert. Es ist nicht klug, sich von KI abhängig zu machen. Abhängigkeit hat sich noch nie bewährt.
Das Gespräch führte Karoline Arn. Mithilfe Géraldine Jäggi.