Wer heute sein Auto auftankt, fährt sehr wahrscheinlich mit Benzin aus den USA. Die Vereinigten Staaten sind in den vergangenen Monaten zum zweitwichtigsten Lieferanten von Erdöl in der Schweiz aufgestiegen – direkt hinter Nigeria, dem seit Jahren grössten Versorger.
Diese Entwicklung hat vor allem mit den USA selbst zu tun, erklärt Christof Rühl, Forscher an der Columbia Universität in New York: «Die USA sind innerhalb von ein paar Jahren vom weltgrössten Importeur zu einem Exporteur geworden. Das hat den ganzen Markt gedreht.»
Die USA exportieren erst seit 2016 Rohöl. Bis dahin galt ein selbstauferlegtes Export-Verbot. Indem die USA nun auch Öl verkaufen, ist das weltweite Angebot gestiegen. «Das Öl aus den USA ist qualitativ sehr gut. Es ist vergleichbar mit Öl aus Afrika», so Rühl. Aus diesem Grund habe das Erdöl aus den USA in Europa die Förderung aus Afrika ersetzt.
Öl aus den USA verdrängt Konkurrenten
Der Verdrängungseffekt zeigt sich auch in der Schweiz: Das Öl aus den USA hat algerisches und libysches Erdöl ersetzt. Inzwischen stammt hierzulande mehr als ein Drittel des Erdöls aus den USA; ein neuer Rekordwert.
Woher das Öl kommt, ist grundsätzlich Sache der Importeure. Beim Erdöl ist es konkret die Varo Energy mit Sitz in Cham (ZG). Die Firma verarbeitet als einziges Unternehmen Erdöl in der Schweiz. Auch jenes aus den USA.
Alle anderen Unternehmen wie BP, Shell oder Agrola importieren bereits verarbeitete Erdölprodukte. Woher genau sie die Treibstoffe beziehen, wollen – oder können – die Firmen nicht bekannt geben. Daten über den Export von Erdölprodukten aus den USA zeigen allerdings, dass die Vereinigten Staaten auch verarbeitete Erdölprodukte wie Treibstoffe in die Schweiz liefern.
Problematisches Erdöl aus den USA
Die USA sind zwar kein umstrittener Handelspartner wie das Bürgerkriegsland Libyen oder das autoritäre Kasachstan. Trotzdem werfen die Öl-Lieferungen Fragen auf, insbesondere mit Blick auf die Art und Weise wie das Öl aus dem amerikanischen Boden geholt wird. Das Erdöl wird häufig mit dem sogenannten Fracking-Verfahren gewonnen. Dabei wird der zähflüssige Rohstoff mit Unmengen an Wasser und Chemikalien aus dem Untergrund herausgepresst. Zurück bleiben Umweltschäden und verschmutztes Grundwasser.
Die Beschaffung von Öl ist eine verzwickte Sache, so der Erdöl-Experte Rühl: «Wo immer man sein Öl bezieht, es gibt immer etwas daran auszusetzen.» Entweder, weil die Produktion umweltschädlich sei oder das Öl aus diktatorischen Ländern komme, in denen die Bevölkerung nichts von den Einnahmen aus dem Rohstoff habe.
Zuerst das Auto, dann die Moral.
Christof Rühl sieht nur einen Ausweg aus diesem Dilemma: «Das lässt sich nur dann vermeiden, wenn die Leute weniger Öl verbrauchen. Aber im Zweifel sieht es so aus, dass zuerst das Auto kommt und dann die Moral – es ist leider so.»
Was ist das kleinere Übel?
Faktisch wird die Welt noch während Jahren auf die fossile Energie Erdöl angewiesen sein.
Für die Nichtregierungsorganisation Public Eye stellt sich deshalb eine grundsätzliche Frage, sagt Mediensprecher Oliver Classen: «Solange wir noch von Erdöl und Erdgas abhängig sind, geht es immer um das kleinere Übel.» In dieser Situation könne die Schweiz sehr wohl eine Auswahl treffen, woher sie ihr Öl beziehe.
Konkret denkt Classen an Öl aus Norwegen: «Das Land ist ein Musterknabe, was Förderbedingungen und Korruption angeht.» Würde die Schweiz versuchen, ihre Importe dort zu beziehen, so Classen, «wäre das ein starkes politisches Zeichen – auch gegen aussen.» Allerdings wurde seit Jahren kein Erdöl mehr aus Norwegen in die Schweiz importiert.
Zugeknöpfte Ölfirmen
Der Bund winkt ab und erklärt, dass er keine rechtliche Möglichkeit habe, solche Import-Vorgaben zu machen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) schreibt: «Die Verantwortung für die Lieferketten liegt bei den einzelnen Unternehmen».
Bei den Unternehmen wiederum stösst man auf eine Mauer des Schweigens. Varo Energy beispielsweise wollte nicht näher auf ihre Beschaffung eingehen. Auf Anfrage von Radio SRF teilt das Unternehmen mit: «Grundsätzlich gibt Varo keine Informationen über kommerzielle Aktivitäten weiter». Auch der Verband der Ölfirmen, Avenergy, war nicht gewillt, Auskunft zu geben.
Selbst wenn die Schweiz Erdöl aus unbedenklicheren Quellen wie Norwegen beziehen würde, verbliebe das US-Öl oder das Erdöl von korrupten Staaten im Umlauf, ist Christof Rühl überzeugt: «Das würde nur dazu führen, dass dieses Öl an jemand anders verkauft würde.» Was die Schweiz nicht konsumiert, findet demnach anderswo einen Abnehmer.