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Konsequenzen des Zollstreits «China hat ein riesengrosses Überkapazitäten-Problem»

Die USA haben chinesische Importe mit Zöllen von 145 Prozent belegt. Die Folgen für die Schweiz könnten drastisch sein: China, dessen Wirtschaft mit einer schwachen Binnennachfrage kämpft, könnte seine Exporte in die EU und in die Schweiz umlenken.

Jörg Wuttke

China-Kenner und Unternehmensberater

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Jörg Wuttke war viele Jahre lang Präsident der EU-Handelskammer in China. Seit 1997 war er Geschäftsführer und Generalbevollmächtigter der BASF China. Vorher war er ab 1988 als Leiter Finanzen und Verwaltung ABB in Peking. Jörg Wuttke lebte 25 Jahre in China. Heute ist er Partner bei der Albright Stonebridge Group in Washington.

SRF News: Exporte im Wert von 440 Milliarden Dollar brechen weg: Ist die Befürchtung, dass China nun seine Exporte nach Europa und in die Schweiz bringt, berechtigt?

Jörg Wuttke: EU-Präsidentin Ursula von der Leyen hat Premierminister Li Qiang angerufen, um genau darauf hinzuweisen: Dass Europa – auch die Schweiz dazu – offene Märkte hat. Dass wir aber auch eine Werkzeugkiste haben, mit der wir die Importe aus China relativ schnell regulieren, also zumindest runterfahren können. Wir können keinen sogenannten «Supply Schock» überleben. Wir müssen sehen, dass das alles geordnete Wege findet.

Welche Produkte könnten kommen und wie schnell würde das gehen?

Weil diese Tarife nicht mit einer Avisier-Zeit von 60 oder 90 Tagen sondern de facto über Nacht herausgekommen sind, werden Elektronik, Textilien, aber auch Chemie- und Pharma-Vorprodukte jetzt auf den europäischen Markt und auch auf den globalen Süden zukommen. Und da muss man sehen, wie weit das zu regulieren ist. Wir haben momentan noch keine grosse Schwemme an Autos, aber Maschinenbauer werden sicherlich feststellen, dass die Konkurrenz immer stärker wird. Das muss man eben auch auf Drittmärkten sehen. Chinesische Produkte werden dort gegenüber europäischen Produkten immer aggressiver auftreten.

Werfen die Chinesen jetzt noch mehr auf den Markt?

Ja, irgendwo muss es ja hin! Wir haben in China Überkapazitäten in allen Bereichen. China ist Weltmeister in Elektronik oder auch im Maschinenbau. Wir haben dort etwa auch unglaubliche Vorräte an Spielzeugen. Das wird alles auf die Märkte fliessen und dort sicherlich zu grösserem Konkurrenzdruck führen. China hat ein riesengrosses Überkapazitäten-Problem. Mit Solarpanels zum Beispiel könnten sie zweieinhalbmal die ganze Welt beglücken.

China hat ein riesengrosses Überkapazitäten-Problem.

Deswegen muss China langsam anfangen, seinen eigenen Markt in den Griff zu bekommen. China steht für 34 Prozent des globalen herstellenden Gewerbes, aber nur für 15 Prozent des Konsums. Der einzige Exportmarkt, der für sie noch übrig bleibt, ist ihr eigener Markt.

Für Konsumenten ist das eine gute Nachricht: Alles wird günstiger. Wie schätzen Sie das ein?

Mobiltelefone, die auf die Märkte drängen und auch wenn die Preise von Schuhen, Textilien, Fernsehgeräte usw. aus China um 20, 30, 40 Prozent gesenkt werden, wird das für die Konsumenten gut sein. Das führt dann vielleicht auch zu einer gewissen Deflation bei uns. Aber die Chinesen müssen sehen, inwiefern das dann nicht dazu führt, dass wir mit Handelsbarrieren kommen.

Es wird für unsere eigene Industrie in Europa schwierig sein, sich zu verteidigen.

Auf Industriefirmen kommt eine neue Konkurrenz zu. Wie stark könnte das hiesige Firmen treffen?

China hat in den letzten Jahren technologisch unglaublich aufgeholt. Sie haben einen riesigen Binnenmarkt. Sie können ganz grosse Mengen produzieren und damit sind sie natürlich konkurrenzfähig. Dann bleibt ihnen auch noch ihre eigene Währung, die momentan unter Abwertungsdruck ist. Das heisst, die chinesischen Firmen sind endlos konkurrenzfähig und eben auch technologisch auf einem hohen Niveau. Deswegen wird es für unsere eigene Industrie in Europa schwierig sein, sich zu verteidigen. Aber der Druck wird auch auf den Drittmärkten sein. Das heisst also, Margendruck wird links und rechts zu spüren sein bei unseren Firmen.

Chinas Exporte

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Chinas Anteil an der weltweiten Produktion beträgt rund 31 Prozent – und ist damit fast doppelt so hoch wie jener der USA mit etwa 16 Prozent. Über 17 Prozent der chinesischen Exporte gehen in die USA. Vergangenes Jahr waren es Waren im Wert von 440 Milliarden Dollar.

In die EU exportierte China 2024 Waren im Wert von 518 Milliarden Euro. Mit über 21 Prozent hat China den grössten Anteil aller Handelspartner an den Einfuhren der EU.

2024 importierte die Schweiz Waren im Wert von 20 Milliarden Franken aus China. Die Schweiz hat seit 2014 ein Freihandelsabkommen mit China.

Das Gespräch führte Andreas Kohli.

10vor10, 11.4.2024, 21:50 Uhr ; 

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