Das Wichtigste in Kürze
- In den USA sorgen Sammelklagen immer wieder für Schlagzeilen – zuletzt im Dieselskandal, in Folge dessen VW die Kunden grosszügig entschädigen musste.
- In der Schweiz fordern Konsumentenschützer seit Jahren die Möglichkeit von Sammelklagen.
- Allerdings müssten Exzesse, wie man sie aus den USA kennt, ausgeschlossen bleiben.
In den Vereinigten Staaten können Geschädigte – wie etwa im VW-Dieselskandal – mit einer sogenannten Sammelklage Schadenersatz fordern. Dieses mächtige Instrument gibt es in dieser Art in der EU und in der Schweiz nicht. Prisca Birrer-Heimo, Nationalrätin und Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz, kämpft schon seit Jahren für die Einführung einer Schweizer Version der Sammelklage.
Für Birrer-Heimo ist es höchste Zeit, dass Verbraucher in Europa gleichauf mit amerikanischen Konsumenten seien. Eine kollektive Klage habe einen entscheidenden Vorteil: «Der einzelne Kläger trägt das Prozesskosten-Risiko nicht alleine.» Bei einer Sammelklage würde die Gruppe dieses Risiko gemeinsam tragen.
Klagen ohne jegliches Risiko?
In den USA gehen die Teilnehmer einer Sammelklage überhaupt kein finanzielles Risiko ein. Die Prozesskosten übernehmen sogenannte Prozessfinanzierer. Sie locken Investoren mit hohen Renditen und kassieren im Erfolgsfall grosszügig ab. Eine Goldgrube sind die Sammelklagen auch für die amerikanische Anwälte. Zwar verdienen sie nur im Erfolgsfall, dann jedoch üppige 30 bis 50 Prozent des erstrittenen Betrags.
Doch gerade das geht vielen in Europa zu weit. So sagt etwa Rudolf Minsch, Chefökonom des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse, dass die exorbitanten Erfolgssummen für die Anwälte viel zu attraktiv seien. «Es könnte zu einer Klageflut kommen, der Streit könnte gefördert statt geschlichtet werden», befürchtet er.
Es berge grosse Risiken für einen Wirtschaftsstandort, wenn Anwaltskanzleien David gegen Goliath spielten. Unternehmen müssten so Ressourcen für langwierige Prozesse und Rückstellungen aufwenden anstatt für ihr eigentliches Geschäft, so Minsch.
Sammelklage kann auch kontrapruduktiv sein
Dass sogar ganze Branchenentwicklungen gehemmt werden könnten, räumt auch der US-Beratungsausschuss für Zivilrecht in einer Studie ein: Das Verhältnis zwischen dem Schaden und dem Verfahrensaufwand stimme schon lange nicht mehr, kommt er zum Schluss.
Ein solches Szenario kritisiert auch Konsumentenschützerin Birrer-Heimo. Es dürfe auf keinen Fall nur darum gehen, die Konzerne zu plündern. In den USA gehe die Sammelklage viel zu weit. Trotzdem ist sie überzeugt, dass Konsumenten Unternehmen nur mit der Möglichkeit einer kollektiven Klage ebenbürtig sein können. Allein die Möglichkeit einer Sammelklage erhöhe den Druck auf die betreffenden Firmen, das zeige etwa der VW-Dieselskandal.
Meist aussergerichtliche Einigung
In den USA sind aussergerichtliche Einigungen in Fällen von Sammelklagen typisch. 95 Prozent aller Fälle enden schlussendlich in einem Vergleich zwischen Klägern und Beklagtem. Denn Unternehmen schliessen lieber einen Vergleich, als einen Prozess mit grösseren Risiken auf sich zu nehmen.
Doch selbst Vergleichszahlungen können kleinere und mittlere Unternehmen in ihrer Existenz gefährden. Deshalb ist für Konsumentenschützer und Wirtschaftsvertreter in der Schweiz klar: Die Einführung von Sammelklagen hätte hierzulande höchstens in abgeschwächter Form eine Chance.