Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski prangert verschiedene westliche Firmen an, die noch immer in Russland geschäften. «Grosse Unternehmen finanzieren noch immer die russische Kriegsmaschine, obwohl sie sich längst hätten zurückziehen sollen», sagte er in einer Rede. Auch den Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé nannte er dabei explizit. Am Donnerstag doppelte der ukrainische Präsident nach. Er griff Nestlé-Konzernchef Mark Schneider für «sein fehlendes Verständnis» direkt an.
Nestlé befürchtet Enteignungen
Der Konzern mit Sitz am Genfersee betreibt in Russland sechs Fabriken mit rund 7000 Angestellten. Wegen diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleibe man weiterhin in Russland tätig, sagt nun der Konzern. Kommerzielle Überlegungen in Russland würden überhaupt keine Rolle spielen, im Gegenteil: «Wir haben den Import und Export von Lebensmitteln – ausser einiger Grundnahrungsmittel – gestoppt. Unsere Investitionen und Werbeaktivitäten sind ausgesetzt.»
Man bleibe weiterhin in Russland tätig, weil man zudem auch die lokale Bevölkerung mit wichtigen Lebensmitteln versorge – zum Beispiel Säuglingsnahrung, schreibt Nestlé. Ein Weggang aus den russischen Werken, so fürchtet der Konzern zudem, könnte dazu führen, dass die lokalen Werke enteignet werden könnten.
Konzerne senden auch politische Signale aus
«Es ist nicht einfach eine Geschäftsentscheidung, die Nestlé hier trifft, sondern eine Entscheidung mit politischen Implikationen», sagt Florian Wettstein, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen. Konzerne seien auch politische Institutionen, die politische Signale aussenden: «Ob sie es wollen oder nicht.»
Doch dieses politische Signal, zu bleiben, müsse abgewogen werden gegenüber den möglichen negativen Auswirkungen gegenüber den Mitarbeitenden und der lokalen Bevölkerung, falls Nestlé seine Produktion in Russland stoppen würde. Das sei insbesondere bei Firmen, die Grundnahrungsmittel zur Verfügung stellen, ein ethisches Dilemma. Ob jedoch Nestlé für die Grundversorgung der russischen Bevölkerung tatsächlich relevant ist, wisse er nicht, sagt Wettstein.
Nestlé betont Engagement in der Ukraine
Dass Nestlé in Russland bleibt, sei jedoch zunehmend schwierig zu vermitteln. «Der Grundtenor zurzeit ist, dass Grossunternehmen aus dem russischen Markt herausgehen», sagt Wettstein. Die geschäftlichen Risiken in Russland zu bleiben, würden von vielen Konzernen mittlerweile als höher angeschaut, als den russischen Markt vollständig zu verlassen.
Nestlé dürfte unter Druck bleiben, denn momentan wiegen politische Signale, die Konzerne aussenden können, schwerer. Daran ändert auch nichts, dass der Schweizer Konzern beteuert, in der Ukraine alles Mögliche zu unternehmen, die Bevölkerung mit Lebensmittelspenden zu versorgen.