Sie heissen Sevre-Long, MST oder Palladon: starke Schmerzmittel bzw. Opioide, die man nur auf ärztliche Verschreibung bekommt. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL führt diese drei Produkte auf einer langen Liste von Medikamenten, die zurzeit knapp sind oder ganz fehlen.
Diese Engpässe bekommt Wilhelm Ruppen, Leiter der Schmerzmedizin am Universitätsspital Basel, in seinem Alltag zu spüren. «Es gibt in letzter Zeit öfter Patienten, die uns melden, dass sie von uns verschriebene Medikamente, insbesondere Opioide, nicht erhalten.»
Bund hat Pflichtlager freigegeben
Die Mangellage bei Opioiden hatte sich schon länger abgezeichnet; deshalb hat der Bund Mitte März sein Pflichtlager für Opioide freigegeben.
Aus diesen Beständen können Apotheken ein fehlendes Opioid meist noch auftreiben. Doch das gelingt nicht immer, sagt Schmerzmediziner Ruppen. «Es gibt Fälle, bei denen wir zusammen mit dem Patienten ein anderes Opioid verordnen müssen, eine Umstellung durchführen müssen.»
Wir versuchen, wenn immer möglich, eine Umstellung auf andere Schmerzmittel zu vermeiden.
Eine solche Umstellung ist für Patientinnen und Patienten nicht ganz ohne: Verträgt der Patient das Ersatzpräparat? Wirkt es gleich gut? Hat es mehr Nebenwirkungen als das ursprüngliche Opioid?
Eine zentrale Frage sei immer auch, die richtige Wirkstärke zu finden. «Diese Opioide können nicht eins zu eins übertragen werden können. Es besteht ein gewisses Risiko einer Unter- oder Überdosierung, deshalb versuchen wir, wenn immer möglich, eine Umstellung zu vermeiden.»
Rund 100 Wirkstoffe fehlen
Opioide sind nicht die einzigen Arzneimittel, die fehlen. Auf der Liste des BWL stehen aktuell rund 100 Wirkstoffe. Wie es zu den Engpässen kommen kann, das weiss Enea Martinelli, Chefapotheker der Spitäler fmi AG in Interlaken, er engagiert sich seit Jahren für das Thema.
Die Gründe seien vielfältig, sagt Martinelli: Die Lockdowns in China spielten eine Rolle. Auch der Ukraine-Krieg könnte sich auswirken. Und: «Das Problem der Opioide ist noch etwas spezifischer – bezogen auf den Brexit und auf den dort entstandenen Fachkräftemangel.» Es sind Einzelereignisse, die zusammen eine schwierige Gemengelage ergeben.
Was gerade fehlt oder fehlen wird, kann sich von Woche zu Woche ändern. Aktuelles Beispiel: Beim Prostatakrebsmedikament Lucrin ist die Dreimonatsspritze nicht mehr verfügbar. «Man muss nun ausweichen. Man macht den Vorschlag, entweder die Halbjahres- oder die Einmonatsspritze zu verwenden.» Theoretisch sei das kein Problem; praktisch aber schon, sagt Martinelli.
«Erklären Sie mal einem Patienten, der in einer Palliativsituation ist und ein Prostatakarzinom hat, dass er jetzt nicht mehr alle drei Monate eine Spritze bekommt, sondern nur alle sechs Monate. Er fühlt sich nicht mehr ernst genommen.» Bei der Einmonatsspritze hingegen könnte der Patient den Verdacht bekommen, er sei kränker als man ihm sagt.
Viel zu früh in die Menopause
Ein anderes Medikament, das vor allem in Deutschland Mangelware ist: Tamoxifen ist ein Standardmittel, um einen Rückfall bei Brustkrebs zu verhindern.
Sie müssen den jungen Frauen eröffnen, dass man sie wegen Medikamentenmangels in die Menopause schicken muss.
Es ist das einzige Medikament, das Frauen vor der Menopause anwenden können. «Sie wollen ihren Krebs weiterhin im Griff haben und brauchen eine andere Therapie. Das heisst, Sie müssen diesen Frauen eröffnen, dass es mit der konventionellen Therapie nicht mehr geht und dass man die jungen Frauen jetzt in die Menopause schicken muss.»
Martinelli erklärt: «Die Schweiz bezahlt höhere Preise für Tamoxifen, deswegen ist das Medikament hierzulande noch erhältlich. Die Frage ist nur: Wie lange noch?»