Der Frühling ist in der Wirtschaft die Jahreszeit der Generalversammlungen. Die Verwaltungsräte der Unternehmen müssen jetzt Rechenschaft ablegen vor ihren Eigentümern. Wegen der aktuellen Krisen schauen Aktionärinnen den Verwaltungsräten noch genauer auf die Finger. Das stellt Christoph Wenk fest, Partner bei Swipra, einem Unternehmen, das sich auf gute Unternehmensführung spezialisiert hat.
«Bei der Covid-Krise waren weltweit alle Unternehmen praktisch gleichzeitig betroffen und die Verwaltungsräte mussten sich gleichzeitig zusammensetzen. Wer da in zu vielen Verwaltungsräten war, erschwerte solche Ad-hoc-Meetings», so Wenk. Die Verfügbarkeit von Verwaltungsrätinnen und -räten sei auch weiterhin ein Thema. Und zwar wegen des Kriegs in der Ukraine, der wieder alle Unternehmen mehr oder weniger gleichzeitig betreffe.
Punkteliste schafft Klarheit
Deshalb möchten die Aktionärinnen, dass die Verwaltungsräte stärker verfügbar sind, wenn sie gebraucht werden. Wenk verweist auf eine Liste, die für jeden VR-Sitz einen Punkt vergibt und ein VR-Präsidium doppelt zählt.
Toleriert waren bisher maximal fünf Punkte. Einige Investoren hätten nun für 2022 das Maximum auf vier Punkte gesenkt: «Sie wählen nun Personen mit fünf normalen VR-Mandaten ab», erklärt Wenk. Immer mehr Aktionärinnen und Aktionäre erwarteten also von ihren Verwaltungsräten, dass sie maximal drei weitere Mandate bekleiden.
Unternehmenssicht gegen Investorensicht
Für Stimmrechtsberaterinnen der Organisation Actares ist die Anzahl Mandate ein Hauptkriterium für die Zu- oder Ablehnung von Verwaltungsräten. Karin Landolt, Co-Geschäftsführerin von Actares, hält fest: Actares lehne regelmässig Wahlen und Wiederwahlen von Personen aufgrund zu vieler Mandate ab: «Wir glauben, dass eine solche Kumulation von Mandaten nicht guttut.»
Actares lehnt regelmässig Wahlen und Wiederwahlen von Personen aufgrund zu vieler Mandate ab.
Weil allerdings die Grossaktionäre die Kleinaktionäre oft überstimmen, werden Kontrollorgane trotz vieler anderer Mandate dennoch gewählt. Die Anhäufung zu vieler Mandate, das so genannte «Overboarding», werde aber von den Aktionärinnen und Aktionären zunehmend kritischer beobachtet, so Wenk.
«Erfahrung» gegen Verfügbarkeit
Zu unterscheiden sei aber unbedingt zwischen Unternehmenssicht und Investorensicht, betont Wenk. Denn erstere wollen Verwaltungsräte mit Erfahrung und bevorzugen somit Mehrfachmandate, während letztere sich stärker auf die Verfügbarkeit als Kriterium für gute Unternehmensführung abstützten. Zwei Aspekte, die wegen der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg stärker beleuchtet werden. Klar ist: Gute Unternehmensführung ist anspruchsvoller geworden und braucht seine Zeit.
Investoren stützen sich stärker auf die Verfügbarkeit als Kriterium für gute Unternehmensführung ab.