4.3 Millionen Dollar bezahlte im Dezember ein Investor für Land, das es gar nicht gibt. Zumindest nicht auf dieser Welt, sondern nur im virtuellen Metaverse. «Land im Metaverse zu besitzen ist ein bisschen wie vor 250 Jahren Land in New York zu kaufen», sagt ein anderer Investor, der kürzlich für 2.6 Millionen Dollar eine grössere Parzelle im Metaverse gekauft hat. Es herrscht Goldgräber-Stimmung im virtuellen Raum: «Wir sichern uns dieses Land, damit wir es später teurer vermieten oder an andere verkaufen können».
Es ist eine Wette auf den nächsten grossen Entwicklungsschritt des Internets – das sogenannte Metaverse. Spätestens seit Facebook-Chef Mark Zuckerberg im Herbst seinen Konzern in Meta umtaufte, scheint klar zu sein, wohin sich das Internet bewegen soll, wohin also Techkonzerne grosse Summen stecken wollen und wo Unternehmen in Zukunft ihre Produkte anbieten sollen.
Die nächste Plattform bietet ein verkörpertes Internet. Wir nennen es das Metaverse.
«Die nächste Plattform bietet ein verkörpertes Internet», sagte Zuckerberg seinen Investoren und der interessierten Öffentlichkeit. Das Metaverse sei der Ort, an dem die physische und die digitale Welt zusammenkommen. Es soll ein Raum werden, in dem digitale Repräsentationen von Menschen – Avatare – bei der Arbeit oder in der Freizeit interagieren, sich in ihrem Büro treffen, Konzerte besuchen oder zum Beispiel Kleidung anprobieren und kaufen können.
Ein Land-Wettlauf im Metaverse
Die Ankündigung war ein Preis-Booster für bereits existierende Plattformen, die sich schon länger als Teil des sogenannten Metaverse verstehen. Es handelt sich dabei um digitale Welten wie Sandbox oder Decentraland, den zwei grössten bereits existierenden 3D-Plattformen. Sie erinnern noch ein wenig an Second Life, der Plattform, die vor fast 20 Jahren für Schlagzeilen sorgte. Decentraland und Sandbox basieren aber auf der Blockchain-Technologie. Auf diesen Plattformen kann Land erworben werden – bezahlt wird in Kryptowährungen. Die digitalen Güter sind durch eine sogenannte NFT gesichert – die Blockchain funktioniert dabei quasi als digitales, dezentrales Grundbuch.
Nach Zuckerbergs Ankündigung stieg das Transaktionsvolumen auf Decentraland, dem grössten Metaverse, innert weniger Wochen um 2500 Prozent. 2021 wurde für knapp 100 Millionen Dollar Land gehandelt – zwei Drittel der Transaktionen fanden nach Facebooks Ankündigung statt. Ein Hype – doch die Rechnung für die modernen Goldgräber lautet: Wer früh einsteigt, kann am stärksten von der Preisentwicklung profitieren. Und das treibt die Preise an.
Welchen anderen Vermögenswert gibt es noch, der in ein paar Jahren um das Fünf- bis Zehnfache steigen kann?
«Das Metaverse steckt noch in den Kinderschuhen. Es hat noch nicht einmal eine Million User, hat aber das Potenzial für Milliarden User», sagt Andrew Kiguel. Seine an der Börse kotierte Investment-Firma aus Kanada hat sich auf Kryptowährungen spezialisiert und kauft nun im grossen Stil in diversen Metaverses Land. Die Preisentwicklung sei gigantisch. Und diese Preisentwicklung sei auch darauf zurückzuführen, dass das virtuelle Land begrenzt sei. «Die Plattformen sind so programmiert, dass nicht mehr Land geschaffen wird.» Und weil das Land begrenzt sei, würden sich immer mehr Investoren ein Stückchen davon schnappen wollen, solange es noch verfügbar ist. «Der Risikoertrag ist hier recht attraktiv. Welchen anderen Vermögenswert gibt es noch, der in ein paar Jahren um das Fünf- bis Zehnfache steigen kann?»
Rund 15'000 Franken beträgt aktuell der Mindestpreis für eine Parzelle von 16 mal 16 Metern Land auf Decentraland. Das entspricht einem Quadratmeter-Preis von 60 Franken. Im Vergleich: Der durchschnittliche Grundstückpreis für Bauland in der Schweiz liegt bei 600 Franken. Virtuelles Land wird also für einen Zehntel von Schweizer Bauland gehandelt.
Früh dabei sein ist das Ziel
Gustavo Salami und Christian Aichhorn haben mit ihrer PR-Agentur Kuble aus Zürich im Herbst rund 120'000 Franken für Land auf Decentraland ausgegeben. «Es ist noch ein bisschen ‹Wilder Westen›», sagen die Werber lachend. Doch ohne Land zu besitzen, könne man dort auch nichts machen. Und machen wollen die beiden so einiges, denn im Metaverse sehen die beiden für ihre Branche nicht erst seit der Ankündigung von Mark Zuckerberg eine ausgezeichnete Zukunft, für die sie jetzt schon Erfahrungen sammeln möchten.
Erste Anwendungsbeispiele seien virtuelle Events, Konzerte, Webinare oder Livestreams, bei denen Unternehmen ihre Produkte präsentieren können oder neue Zielgruppen erreichen würden. Unternehmen könnten ihren Kunden Geschenke anbieten wie spezielle Kleider oder Kostüme für ihren Avatar oder diese auch verkaufen.
Da muss noch viel passieren, damit es für jeden zugänglich wird
Das seien erst einige Beispiele für Unternehmen, um sich im neuen Metaverse zu präsentieren. «Das Metaverse befindet sich noch im Stadium des Internets in den 1990er Jahren. Da muss noch viel passieren, damit es für jeden zugänglich wird», sagt Gustavo Salami. Doch die Entwicklung sei kaum mehr aufzuhalten. Und auch für die PR-Agentur gilt die Devise: Je früher man dabei ist, desto stärker ihre Position später im Markt. Die 120'000 Franken für den Landkauf werde man allein durch die gesammelten Erfahrungen und Kundenprojekte amortisieren können, gibt sich Christian Aichhorn überzeugt. Ein berühmter Schweizer Künstler wolle im Metaverse auftreten und auch ein Grosskunde habe bereits die Fühler ausgestreckt.
«Momentan ist es ein extremer Hype», sagt Fabian Schär, Ökonomie-Professor an der Universität Basel. Er hat zusammen mit seinem Doktoranden Mitchell Goldberg die Entwicklung von Preisen auf Decentraland untersucht. «Mit der Ankündigung von Facebook wurden die Vorstellungen und Fantasien stark angeregt.»
Das Risiko ist enorm. Es ist wie ein Start-up, einfach einer ganzen Branche. Das kann natürlich auch im Totalverlust enden.
Das Potenzial für Metaverses bestehe zweifellos, sagt Schär, doch man sei hier noch ganz am Anfang. Dementsprechend seien die Preise vor allem auf dieser Erwartungshaltung begründet. «Das Risiko ist enorm. Es ist wie ein Start-up, einfach einer ganzen Branche. Das kann natürlich auch im Totalverlust enden», sagt der Professor.
Grosses Potenzial – zum Scheitern und zum Gewinnen
Trotzdem sieht er ein sehr grosses Potenzial im Metaverse, gerade für Unternehmen. Denn das Internet entwickle sich schon in diese Richtung. Für Doktorand Goldberg steht fest, wer im Metaverse Land benötigen werde: «Der Avatar hat kein Bedürfnis für Wohnen, er hat keinen Hunger – dementsprechend braucht es keine Wohnungen und auch keine Landwirtschaft. Auch die Industrie benötigt auf Metaverses keinen Platz, weil virtuelle Güter durch Programmierer hergestellt werden.» Die einzigen, die das virtuelle Land erwerben müssten, sind Unternehmen, die etwas zeigen wollen, um potenziellen Kundinnen und Kunden etwas zu verkaufen, fasst Goldberg zusammen.
Ein aktuelles Beispiel seien die Veranstalter der Australian Open, die auf Decentraland ihr Festivalgelände nachgebaut haben. «Es gibt Livestreams der Matches und Shops mit Fanartikeln», sagt Schär. Das Interesse vieler grosser Unternehmen am Metaverse zeige sich auch darin, dass Firmen dort virtuelle Shops erstellen, wo man digitale und physische Produkte kaufen und mit diesen Firmen interagieren könne.
Forschungspapier der Universität Basel
Die Beispielliste dieser ersten Gehversuche wird immer länger: Samsung, Adidas, das Auktionshaus Sotheby’s, der Computerspiele-Entwickler Atari, der Rapper Snoop Dog oder jüngst der Karibik-Staat Barbados, der ankündigte, auf Decentraland eine virtuelle Botschaft zu errichten. Es gibt inzwischen Casinos, Golf-Anlagen, Kunst-Galerien, Festivals mit Paris Hilton oder Deadmouse oder auch Mode-Shows auf diesen Metaverses.
Doch bei der gesamten medialen Berichterstattung schwinge mitunter auch ein sogenannter «survivorship bias» mit, eine verzerrte Wahrnehmung, die sich daraus speise, dass nur auf die Gewinner geblickt wird. «Wenn man sieht, wie sich die Landpreise auf Decentraland zum Beispiel entwickelt haben, dann hat man das Gefühl, das seien tolle Gewinne», sagt Goldberg. Was man dabei jedoch oft vergesse, sei, dass es ähnliche Projekte im gleichen Zeitraum gab, die gescheitert seien. «Der Boom ist also alles andere als eine sichere Sache.»
Der Boom ist alles andere als eine sichere Sache.
Die Weiterentwicklung des Internets schreitet nicht erst seit Facebooks Ankündigung voran – viele sind sich sicher, dass die Verschränkung von virtuellen und realen Welten – das Metaverse – die Zukunft, das sogenannte Web 3.0 sein wird. Einige Akteure versuchen sich zurzeit so aufzustellen, dass sie davon besonders stark profitieren können. Es kann sein, dass sie sich wie vor 250 Jahren in Manhattan die richtige Parzelle Land sichern können. Es kann aber auch sein, dass alles auf Sand gebaut ist.