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Verdacht auf Menschenhandel in Schweizer Nagelstudios
Aus Echo der Zeit vom 31.01.2023. Bild: Keystone
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Moderne Sklaverei Bunte Nägel zu Tiefstpreisen – Verdacht auf Menschenhandel

Moderne Sklaverei, das gibt es auch in der Schweiz: Aktuell sind Nagelstudios besonders im Fokus der Polizei.

Hier entstehen kleine Kunstwerke in knalligen Farben: Drei Naildesignerinnen schleifen die Nägel ihrer Kundinnen. Das Geschäft laufe nicht schlecht, sagt Tranova Mai Lan, die Geschäftsführerin von Aarenails. Wenn sie gut arbeiteten, dann würden auch immer mehr Leute kommen: «Die Arbeit kommt von Herzen.»

Nagelstudio Aarenails
Legende: Im Sommer habe die Polizei alles kontrolliert, erzählt die Geschäftsführerin vom Nagelstudio Aarenails. SRF

Der Vietnamesin ist es wichtig, alles korrekt zu machen, sonst könne sie nicht ruhig schlafen. Im Sommer habe die Polizei alles kontrolliert, bei ihnen sei alles in Ordnung. Wie es in anderen Studios laufe, könne sie nicht beurteilen, aber wer mit dem Lohn oder den Arbeitsbedingungen nicht zufrieden sei, könne ja das Studio wechseln. Denn Naildesignerinnen und -designer seien sehr gesucht.

Nur hoch spezialisierte Drittstaatler

So einfach sei das nicht, sagt Doro Winkler von der Fachstelle Frauenmigration und Frauenhandel FIZ: «Wechseln kann nur, wer legal in der Schweiz ist.» Vietnamesen und Vietnamesinnen erhalten in der Schweiz nur eine Arbeitsbewilligung, wenn sie hoch spezialisiert sind. Alle anderen brauchen einen europäischen Pass. Das heisst, sie sind entweder mit einem europäischen oder Schweizer Bürger verheiratet – oder aber, sie verfügen über einen gefälschten Pass.

Durch die prekäre Aufenthaltssituation wird die Naildesignerin auch ausbeutbarer und ist dem Arbeitgeber ausgeliefert.
Autor: Doro Winkler Fachstelle Frauenmigration und Frauenhandel FIZ

Mit einem gefälschten Pass erhalte die Naildesignerin keine Arbeitsbewilligung, erklärt Winkler, sondern laufe Gefahr, als irreguläre Migrantin kriminalisiert zu werden. «Durch die prekäre Aufenthaltssituation wird sie dann auch ausbeutbarer und ist dem Arbeitgeber ausgeliefert.» Sie erzählt die Geschichte einer jungen Vietnamesin: Ihre Familie ist hoch verschuldet und wird von den Schuldeneintreibern massiv unter Druck gesetzt. Gleichzeitig bieten diese ihr Arbeit im Ausland an, um ihre Schulden abzuarbeiten.

Die Nailbranche

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  • In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach kunstvoll gestalteten Nägeln regelrecht explodiert.
  • Gemäss dem Branchen- und Telefonverzeichnis von Swisscom gibt es in der Schweiz rund 3400 Nagelstudios.
  • Die meisten Nagelstudios sind selbstständigerwerbende Ein-Personenbetriebe. Die grossen Studios in den Innenstädten sind die Ausnahme, nicht die Regel.
  • Es gibt keine anerkannte Fachausbildung zur Naildesignerin.

Sie organisieren ihr Papiere und sie reist dann über Russland nach Osteuropa. Dann arbeitet sie drei bis vier Jahre lang zwangsweise in Restaurants und in Nagelstudios in verschiedenen Ländern Europas. Eines Tages kontrolliert die Polizei das Studio in der Schweiz, in dem sie gerade arbeitet, erkennt ihre Situation und bringt sie zur FIZ.

Moderne Sklaverei

Die Situationen der Naildesignerinnen und -designer seien teilweise sehr prekär, das bestätigt auch Alexander Ott von der Fremdenpolizei der Stadt Bern. In einem Nagelstudio hätten vier bis sechs Personen in einer kleinen Wohnung zusammengelebt, die würden dann direkt zur Schicht gefahren und wieder zurück. «Wir haben teilweise Personen angetroffen, die keine Ahnung hatten, wo sie überhaupt sind. Die wussten nicht, ob sie in der Schweiz oder in Schweden sind.»

Wir haben teilweise Personen angetroffen, die keine Ahnung hatten, wo sie überhaupt sind. Die wussten nicht, ob sie in der Schweiz oder in Schweden sind.
Autor: Alexander Ott Leiter Fremdenpolizei der Stadt Bern

So schlimm sei es natürlich nicht in allen Studios – aber bei insgesamt 15 Kontrollen in grösseren Berner Nagelstudios seien sie bei zwölf auf Missstände gestossen: Schwarzarbeit, Arbeit auf Abruf, Arbeit ohne Lohn, Personen ohne Aufenthaltsbewilligung und Scheinehen.

Einfache Geschäftsgründung

Aber warum sind gerade Nagelstudios anfällig für Ausbeutung? Weil die Hürden, ein Nagelstudio zu eröffnen, minimal sind: Es braucht dazu keine Ausbildung, die Ausstattung kostet nur knapp 1000 Franken und es gibt praktisch keine Vorschriften, weder zu den Arbeitsbedingungen noch zu Hygienestandards. «Alle Branchen im Niedriglohnbereich oder wo Nachfrage und Angebot in einem queren Verhältnis stehen, sind gefährdet», sagt Ott.

Opfer von Arbeitsausbeutung zu identifizieren, sei schwierig. Den Täterinnen und Tätern Menschenhandel nachzuweisen noch schwieriger. Die Dunkelziffer ist entsprechend hoch.

Wieso werden nicht mehr Täterinnen und Täter verurteilt?

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SRF News: 2021 gab es in der Schweiz fast 300 Opfer von Menschenhandel, zusätzlich rechnet man mit einer hohen Dunkelziffer. Angeklagt werden aber nur sehr wenige Täterinnen und Täter, woran liegt das?

Staatsanwältin Runa Meier: Der Vorwurf «Menschenhandel», den man erhebt, wiegt sehr schwer. Die Ermittlungen sind aufwändig. Es geht ja nicht nur darum, die Ausbeutungssituation allein zu ermitteln, sondern man muss auch abklären, wie das Opfer in diese Situation geraten ist. Denn der Vorwurf, den man der Täterschaft macht, ist, dass sie das Opfer gezielt, zum Beispiel mittels Täuschung oder Ausnutzung der vulnerablen Situation des Opfers, in die schlussendlich beabsichtigte Ausbeutungssituation führt. Das muss man am Schluss auch beweisen können.

Eine Schwierigkeit in diesen Verfahren ist, dass Opfer nicht bereit sind auszusagen. Was können sie den Opfern anbieten, damit sie es doch tun?

Wenn ein Opfer bereit ist, auszusagen, dann können wir ihm gesetzlich vorgesehene Leistungen an Schutz und Unterstützung anbieten. Das entspricht keinem Luxusleben, sondern ist ein Minimum an Komfort. Ob die Person nach dem Abschluss des Verfahrens in der Schweiz bleiben darf, ist jeweils ungewiss. Das ist relativ wenig dafür, dass die Person mehrmals lange zu intimsten Details ihrer Herkunft und wirtschaftlichen Situation einvernommen wird. Dazu kommt, dass sie sich und ihre Familie mit der Aussage möglicherweise in Gefahr bringt.

Was ist denn die Motivation der Opfer, trotzdem auszusagen?

Einige Opfer wollen Gerechtigkeit. Sie wollen ihre Geschichte erzählen und sie möchten, dass andere Personen nicht Opfer derselben Masche werden. Ich persönlich habe schon sehr mutige Opfer erlebt, die ausgesagt haben, obwohl wir ihnen nicht versprechen konnten, sie und ihre Familie langfristig zu schützen.

Echo der Zeit, 31.01.2023, 18:00 Uhr

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