Hier entstehen kleine Kunstwerke in knalligen Farben: Drei Naildesignerinnen schleifen die Nägel ihrer Kundinnen. Das Geschäft laufe nicht schlecht, sagt Tranova Mai Lan, die Geschäftsführerin von Aarenails. Wenn sie gut arbeiteten, dann würden auch immer mehr Leute kommen: «Die Arbeit kommt von Herzen.»
Der Vietnamesin ist es wichtig, alles korrekt zu machen, sonst könne sie nicht ruhig schlafen. Im Sommer habe die Polizei alles kontrolliert, bei ihnen sei alles in Ordnung. Wie es in anderen Studios laufe, könne sie nicht beurteilen, aber wer mit dem Lohn oder den Arbeitsbedingungen nicht zufrieden sei, könne ja das Studio wechseln. Denn Naildesignerinnen und -designer seien sehr gesucht.
Nur hoch spezialisierte Drittstaatler
So einfach sei das nicht, sagt Doro Winkler von der Fachstelle Frauenmigration und Frauenhandel FIZ: «Wechseln kann nur, wer legal in der Schweiz ist.» Vietnamesen und Vietnamesinnen erhalten in der Schweiz nur eine Arbeitsbewilligung, wenn sie hoch spezialisiert sind. Alle anderen brauchen einen europäischen Pass. Das heisst, sie sind entweder mit einem europäischen oder Schweizer Bürger verheiratet – oder aber, sie verfügen über einen gefälschten Pass.
Durch die prekäre Aufenthaltssituation wird die Naildesignerin auch ausbeutbarer und ist dem Arbeitgeber ausgeliefert.
Mit einem gefälschten Pass erhalte die Naildesignerin keine Arbeitsbewilligung, erklärt Winkler, sondern laufe Gefahr, als irreguläre Migrantin kriminalisiert zu werden. «Durch die prekäre Aufenthaltssituation wird sie dann auch ausbeutbarer und ist dem Arbeitgeber ausgeliefert.» Sie erzählt die Geschichte einer jungen Vietnamesin: Ihre Familie ist hoch verschuldet und wird von den Schuldeneintreibern massiv unter Druck gesetzt. Gleichzeitig bieten diese ihr Arbeit im Ausland an, um ihre Schulden abzuarbeiten.
Sie organisieren ihr Papiere und sie reist dann über Russland nach Osteuropa. Dann arbeitet sie drei bis vier Jahre lang zwangsweise in Restaurants und in Nagelstudios in verschiedenen Ländern Europas. Eines Tages kontrolliert die Polizei das Studio in der Schweiz, in dem sie gerade arbeitet, erkennt ihre Situation und bringt sie zur FIZ.
Moderne Sklaverei
Die Situationen der Naildesignerinnen und -designer seien teilweise sehr prekär, das bestätigt auch Alexander Ott von der Fremdenpolizei der Stadt Bern. In einem Nagelstudio hätten vier bis sechs Personen in einer kleinen Wohnung zusammengelebt, die würden dann direkt zur Schicht gefahren und wieder zurück. «Wir haben teilweise Personen angetroffen, die keine Ahnung hatten, wo sie überhaupt sind. Die wussten nicht, ob sie in der Schweiz oder in Schweden sind.»
Wir haben teilweise Personen angetroffen, die keine Ahnung hatten, wo sie überhaupt sind. Die wussten nicht, ob sie in der Schweiz oder in Schweden sind.
So schlimm sei es natürlich nicht in allen Studios – aber bei insgesamt 15 Kontrollen in grösseren Berner Nagelstudios seien sie bei zwölf auf Missstände gestossen: Schwarzarbeit, Arbeit auf Abruf, Arbeit ohne Lohn, Personen ohne Aufenthaltsbewilligung und Scheinehen.
Einfache Geschäftsgründung
Aber warum sind gerade Nagelstudios anfällig für Ausbeutung? Weil die Hürden, ein Nagelstudio zu eröffnen, minimal sind: Es braucht dazu keine Ausbildung, die Ausstattung kostet nur knapp 1000 Franken und es gibt praktisch keine Vorschriften, weder zu den Arbeitsbedingungen noch zu Hygienestandards. «Alle Branchen im Niedriglohnbereich oder wo Nachfrage und Angebot in einem queren Verhältnis stehen, sind gefährdet», sagt Ott.
Opfer von Arbeitsausbeutung zu identifizieren, sei schwierig. Den Täterinnen und Tätern Menschenhandel nachzuweisen noch schwieriger. Die Dunkelziffer ist entsprechend hoch.