Sie kommen, wenn es nach einer Katastrophe ruhig wird. Das sagen sie bei Carelink. Dann, wenn Rettungskräfte und Polizei gegangen sind. Ihr Bereich sind die seelischen Wunden.
Es geschieht im Durchschnitt jeden Tag, irgendwo in einem Unternehmen in der Schweiz. «Wir werden häufig zu Suiziden gerufen», sagt Carelink-Geschäftsführer Walter Kälin. Auch bei Überfällen auf Banken, kleine Läden und Tankstellen kämen sie zum Zug.
350 Notfallpsychologen und «Caregiver»
Ein Unternehmen kann über die Rega einen Carelink-Alarm auslösen. In der Carelink-Zentrale im zürcherischen Glattbrugg bleiben dann 15 Minuten für einen Rückruf. Was ist geschehen? Wie viele sind betroffen?
Hat die zuständige Einsatzleitung diese Fragen geklärt, kann sie auf ein Netzwerk von rund 350 Notfallpsychologen und -psychologinnen und sogenannte «Caregiver» zurückgreifen.
Im vergangenen Jahr hat die Stiftung rund 380 solcher Einsätze durchgeführt. Carelink hat Verträge mit Unternehmen aller Sparten und Grössen. Die SBB gehört dazu, Swisscom, die UBS und SRF.
Der Flughafen Zürich hat Carelink für den Fall eines sogenannten «Grossereignisses» engagiert, etwa eines Amoklaufs.
Je nach Grösse bezahlen Unternehmen Mitgliederbeiträge zwischen 5000 und 50'000 Franken pro Jahr. Dafür können sie Carelink 24 Stunden pro Tag kontaktieren, erhalten Beratung und Schulungen. Hinzu kommen Kosten, wenn es zu einem Einsatz kommt.
Carelink begleitet auch Massentlassungen. In solchen Fällen bereitet das Team mit den Unternehmen vor, wie sie diese Nachricht der Belegschaft überbringen, und sie stehen für Gespräche zur Verfügung.
Sie brauchen Sicherheit, und sie brauchen Unterstützung.
Nach einem extremen Erlebnis funktioniert das Gehirn anders. Ein potenziell traumatisches Ereignis könne einen Bruch mit der Zeit darstellen, erklärt Notfallpsychologin Petra Strickner, während sie Kaderangestellte von Swisscom schult. Die Zeitwahrnehmung verändere sich. Betroffene teilten später ihr Leben in eine Zeit «davor» und eine Zeit «danach» ein.
Direkt danach benötigten Menschen laut Geschäftsführer Walter Kälin zweierlei: «Sie brauchen Sicherheit, und sie brauchen Unterstützung.» Die Stressreaktionen seien sehr unterschiedlich. Bei manchen kämen sie erst verzögert. Auch das erklärt Carelink den Betroffenen.
Kein Helfersyndrom gewünscht
Neue Einsatzkräfte zu rekrutieren, sei nicht schwierig. In der Regel sind es Menschen aus thematisch nahen Berufen, die sich bei Carelink weiterbilden lassen. In Rollenspielen versetzen sie sich in unterschiedliche Betroffenheiten.
Eines mag überraschen: Carelink sucht keine Menschen mit Helfersyndrom. Notfallpsychologin Janine Köhli, die den Weiterbildungstag leitet, sagt: «Wir sind da, um Personen zu befähigen, selbst die Ausnahmesituation bewältigen zu können.» So sollten den Betroffenen kleine Entscheidungen überlassen werden. Sie könnten sich etwa für ein Getränk entscheiden und es selbst zubereiten. Mit solchen kleinen Tätigkeiten kann das Gefühl der Ohnmacht abgemildert werden.
Die Stiftung ist ausdrücklich für den Akut-Einsatz zuständig. Wer längerfristige therapeutische Hilfe benötigt, wird nicht mehr von Carelink betreut. Das sei allerdings die Ausnahme. Vier von fünf Menschen erholten sich von einem sogenannten «ausserordentlichen Ereignis» in der Regel innerhalb weniger Wochen.