«Eins, zwei, drei und auf!» Iris Nydegger zieht ihre Mutter vom Sofa auf und gibt ihr den Rollator zur Hand. Die beiden Frauen wohnen seit zwei Jahren wieder zusammen. «Das hat sich ergeben durch ihren Hirnschlag und durch meine Krebsdiagnose, als man eine Lösung finden musste», sagt Nydegger. Seither pflegt sie ihre Mutter, hilft bei der Körperpflege, beim Essen und Trinken oder sorgt dafür, dass sie Bewegung hat.
Wie Nydeger pflegen mehr als eine halbe Million Menschen Eltern, Partner oder Kinder. Viele tun dies, ohne Entschädigung. Dabei wäre es schon seit 2007 möglich, sich von Spitexorganisationen anstellen zu lassen. So richtig Zulauf erhielt das Modell in den letzten zwei, drei Jahren.
Krankenkassen beklagen hohe Kosten
Seither drängen immer mehr Anbieter in den Markt, beantragen die Spitex-Lizenz. Der Trend sorgt bei Krankenkassen für Kritik. «Die Krankenversicherung zahlt für die Grundpflege 52.60 Franken. Und hier haben viele Firmen ein neues Geschäftsfeld entdeckt. Sie zahlen einem Angehörigen einen gewissen Lohn aus und die Differenz behalten Sie für sich ein», sagt Christoph Kilchenmann vom Krankenkassenverbands Santésuisse.
Die Anzahl Leistungserbringer für die Pflege zu Hause sei in den vergangenen 10 Jahren um 92 Prozent auf 2078 Anbieter gestiegen. Die Kosten hätten sich in den letzten eineinhalb Jahren verdoppelt – alleine wegen der Spezialfirmen.
Caritas will Finanzierung ändern
Einer der neuen Anbieter ist die Caritas. Sie engagiert sich in der Angehörigenpflege, um Care-Arbeit zu entschädigen und Armut zu bekämpfen, wie Tobias Holzgang, Leiter Angehörigenpflege, sagt. Er kritisiert die hohen Gewinnchancen: «Das Modell ist wirtschaftlich sehr attraktiv.» Caritas selbst dürfe als Non-Profit-Organisation keine Gewinne machen. Das Geld fliesse in die Ausbildung und Unterstützung der Angestellten.
Es entlastet die Branche, weil die Leute länger zuhause bleiben können.
Der Vorschlag gegen die hohen Kosten: Die Finanzierung zu ändern. «Man müsste den Beitrag der Krankenkassen senken, das würde auch den Gemeinden und Kantonen die Möglichkeit geben, die Finanzierung anzupassen», sagt Holzgang.
Der Verband der privaten Spitexorganisationen, zu dem viele der privaten Anbieter gehören, sagt: Die Pflege zu Hause sei günstiger als im Pflegeheim. «Es entlastet die Branche, weil die Leute länger zu Hause bleiben können.» Man tue zudem etwas gegen den Fachkräftemangel. «Und es ist ein emotionaler Mehrwert für die Personen, wenn sie durch einen Angehörigen Grundpflege bekommen können», sagt Geschäftsführer Marcel Durst.
Wegen der Zunahme der Anbieter und der Kritik, will er einen neuen Code of Conduct einführen, der die Qualität und die Finanzierung regle.
Aus Zuneigung zur Mutter
Nydegger bringt die Anstellung fachliche und finanzielle Entlastung: «Man hat die ganze Altersvorsorge, das ist das eine. Man verdient ein bisschen etwas. Das ist jetzt, wo alles teurer wird, ja auch nicht schlecht. Man hat jemanden an der Seite, der fachkompetent ist.» Eine Pflegefachfrau begleite sie und gebe wertvolle Tipps.
Was mich unterstützt, ist die Zuneigung zu meiner Mutter.
Auch wenn es nicht immer einfach sei, die Pflege der Mutter im eigenen Heim – für Nydegger ist, das keine Verpflichtung: «Was mich unterstützt, ist die Zuneigung zu meiner Mutter, und dass wir das Glück gehabt haben, alles, was vielleicht auch nicht gut gelaufen ist in unserer Beziehung, vor ihrem Hirnschlag miteinander geklärt zu haben.»