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Politisches Reizthema Interpharma kritisiert Preisbildung für Medikamente – zu Recht?

Die Schweiz büsse als Pharmastandort an Attraktivität ein, warnt der Branchenverband – auch wegen der Medikamentenpreise.

Roche hat seine Geschäftszahlen vorgelegt – und es läuft gut für den Schweizer Pharmakonzern. Auch Novartis wird morgen einen Einblick in sein Geschäftsjahr geben, Analysten gehen auch dort von einem guten Jahr aus.

Nichtsdestotrotz hat der Branchenverband Interpharma vor Kurzem Alarm geschlagen: Die Schweiz büsse als Pharmastandort immer mehr an Attraktivität ein. Ein Kritikpunkt des Verbands: die Medikamentenpreise in der Schweiz und wie sie zustande kommen.

Es werden Preise verfügt, zu denen die Firmen nicht mehr bereit sind zu liefern.
Autor: René Buholzer Delegierter des Vorstands von Interpharma

Einer der Bereiche, in denen es schlecht laufe, sei das Schweizer Preissystem, so Interpharma. Ausgerechnet die Medikamentenpreise – ein Politikum in der Schweiz. Denn die steigenden Krankenkassenprämien belasten viele. Der Unmut setzt auch die Pharmafirmen unter Druck.

Denn Medikamente machen inzwischen einen grossen Block in der Grundversicherung aus: mehr als 20 Prozent. Trotzdem: René Buholzer vom Verband Interpharma warnt davor, den Kostendruck einfach an die Pharmafirmen weiterzugeben. «Wir finden uns immer weniger bei den Preisen. Es werden Preise verfügt, zu denen die Firmen nicht mehr bereit sind zu liefern. Deswegen müssen wir das System, wie die Preise gebildet werden, verbessern.»

Deutschland als Vorbild?

Ein besseres Preissystem – das heisst für die Pharmafirmen, dass bereits zugelassene Medikamente schneller von den Krankenkassen vergütet werden, also, dass die Verhandlungen mit dem Bundesamt für Gesundheit rascher erfolgen und die Leute so schneller Zugang zu neuen Therapien bekommen. Im Moment sei die Schweiz mit durchschnittlich 300 Tagen zwischen Zulassung und Vergütung zu langsam.

«Man könnte sich an Deutschland orientieren, wo die Medikamente am schnellsten auf den Markt kommen, nämlich von ‹Tag Null› an. Da ist ja auch das Schweizer Parlament dran», sagt Buholzer.

Das System «Tag Null»

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Medikamente in Apotheke.
Legende: Keystone/Christian Beutler

«Tag Null» bedeutet, dass zugelassene Medikamente sofort von den Kassen vergütet werden, zu dem Preis, den der Hersteller festlegt. Verhandelt wird der letztlich gültige Preis parallel mit den Behörden. Auch in der Schweiz debattiert das Parlament momentan über die Einführung dieses Systems. Voraussichtlich in der Frühlingssession wird darüber entschieden.

Interpharma wünscht sich zudem, dass der Nutzen neuer Medikamente stärker in die Preisgestaltung einfliessen soll. Bisher würden Vorteile wie eine kürzere Einnahmedauer oder kürzere Spitalaufenthalte kaum eine Rolle bei der Preisverhandlung spielen.

Wer profitiert vom «Tag Null»?

Doch wem würden solche Änderungen nützen? Den Patientinnen und Patienten oder vor allem der Industrie? Kerstin Vokinger, Professorin für Recht und Medizin an der ETH und an der Uni Zürich, bestätigt zwar, dass Patienten raschen Zugang zu neuen, wirkungsvollen Therapien haben sollten. Aber: «Nur schnell zu sein, ist nicht dienlich.»

Vokinger gibt zu bedenken: Forschungen zu Deutschland würden zeigen, dass das Tag-Null-System eher hohe Medikamentenpreise hervorbringe. Womöglich erhalten die Patienten ihre Medikamente in einem solchen System also schneller – aber wahrscheinlich zu höheren Kosten.

Spitalapotheke in Interlaken.
Legende: «In einer Studie zeigen wir, dass die Anfangspreise in Deutschland viel höher sind als bei uns», sagt Expertin Kerstin Vokinger. Dies liege daran, dass die Preise dort gleich am «Tag Null» festgesetzt würden. Keystone/Christian Beutler

Was die Beurteilung des Nutzens eines Medikaments angeht, kritisiert Vokinger, dass schon jetzt viele Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneien gar nicht vorlägen, wenn über den Preis verhandelt werde – weil viele Arzneimittel beschleunigt zugelassen werden. Vokinger plädiert dafür, sich zunächst auf die medizinisch relevanten Daten zu fokussieren, statt neue Kriterien in die Beurteilung einfliessen zu lassen.

Lieber gründlich statt schnell, sagt die Expertin – nicht gerade das, was die forschenden Pharmafirmen hören wollen. Immerhin: Im Parlament, wo gerade über Kostendämpfung im Gesundheitswesen debattiert wird, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Rendez-vous, 30.1.2025, 12:30 Uhr;stal

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