Es gibt noch raffiniertere Methoden als Zölle, mit denen sich Volkswirtschaften abzuschotten versuchen. Ein Barometer misst regelmässig das Ausmass der Handelshemmnisse aller Art. Erstellt wird es von Simon Evenett, Professor für internationale Handelspolitik an der Universität St. Gallen.
SRF News: Welches Land ist in ihrem Protektionismus-Barometer derzeit der grösste Sünder?
Simon Evenett: Der grösste Sünder sind zurzeit die Vereinigten Staaten, wenn man die letzten zehn Jahre seit Beginn der Finanzkrise betrachtet.
Wer sind die Musterknaben beim Freihandel?
Da müssen wir die Liste umdrehen – unter den grösseren Ländern sind es Australien und Mexiko.
Wo steht bei all dem die Schweiz?
Die Schweiz verlangt, dass gewisse Branchen einen höheren Anteil der Produktion in der Schweiz ausführen müssen als früher. Das hat Folgen. Aber die Schweiz ist generell näher bei Australien und Mexiko als bei den USA.
Wie ausser mit Zöllen können Länder sonst noch den internationalen Handel einzudämmen?
Länder können neben Zöllen auch sogenannte nicht-tarifäre Handelsbeschränkungen ergreifen. Gesundheitsvorschriften, die geschaffen werden, um ausländische Konkurrenten fernzuhalten. Oder aber mit Subventionen.
Was ist schädlicher, Zölle oder nicht-tarifäre Massnahmen?
Beide Massnahmen können sehr problematisch sein. Beide können Firmen benachteiligen und den Wettbewerb verfälschen. Entscheidend ist das Ausmass. Im Moment sind die Zölle das kleinere Problem als die non-tarifären Handelshemmnisse wie Subventionen. Letztere sind ein grösseres Risiko für offene Länder wie die Schweiz.
Warum fokussiert US-Präsident Trump dann so stark auf Zölle?
Weil Zölle sehr transparent sind und weil es Massnahmen sind, die die Trump-Wähler verstehen. Als Konzept sind Zölle ja eigentlich sehr einfach nachzuvollziehen. Trump kann zeigen, dass er sein Wahlversprechen, die US-Märkte zu schützen, einlöst.
Bereits Ende 2017 waren bei über 60 Prozent der US-Stahlimporte Schutzmassnahmen im Spiel. Welchen Effekt haben da zusätzliche Zölle noch?
Die meisten Stahlimporte waren tatsächlich bereits mit strengen Schutzmassnahmen belegt. Die neuen Massnahmen werden die Stahl-Importe ausserhalb von China verringern. Aus Ländern wie Kanada, Russland, Mexiko, Brasilien und Südkorea. Trump bestraft also nicht China, sondern eigentlich befreundete Nationen der USA.
Die Trump-Regierung soll neue Zölle gegen bestimmte chinesische Waren im Wert von 30 bis 60 Milliarden Dollar planen. Wie einschneidend wären diese?
Die sind einschneidend. Sie zielen auf einen potenziellen Missbrauch von geistigem Eigentum ab. Die Idee und der Umfang dieser Zölle sind neu. Sie sind gefährlich, weil sie wohl Gegenmassnahmen bei den Chinesen hervorrufen würden. Aus solchen Situationen können Handelskriege entstehen.
Welche anderen Mittel hätte Trump, um die heimische Wirtschaft rechtmässig zu schützen?
Es gibt mehrere Ausnahmen, die nicht-tarifäre Handelshemmnisse zulassen: nationale Sicherheit, Gesundheit, Lebensmittelsicherheit, die öffentliche Ordnung. Aber in all diesen Fällen muss gezeigt werden, dass die Ausnahmen nach Treu und Glauben geschaffen und angerufen wurden. Im Fall der US-Stahl-Zölle ist dies nicht der Fall. Trump gibt vor, es gehe um die nationale Sicherheit, doch das ist nicht wahr. Er handelt gegen den Geist der Ausnahmeregeln. Das ist das Problem.
Die Welthandelsorganisation WTO soll Handelshemmnisse beseitigen, doch Verfahren gegen Vertragsverletzungen dauern lang. Macht die WTO im heutigen Umfeld noch Sinn?
Diese Verfahren dauern tatsächlich lange. In der Zwischenzeit kann es zu Retorsionsmassnahmen durch die betroffenen Länder kommen. Wir erkennen nun, dass das WTO-System nicht so stark und so nützlich ist, wie wir gedacht haben. Das ist eine grosse Enttäuschung und schwächt alle Handelsnationen, die sich bis jetzt auf die WTO verlassen haben.
Sind die Tage der WTO gezählt?
Nein, die WTO wird überleben. Aber sie wird geschwächt sein. Das ist schlecht für alle.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.