Der erste Prozesstag ist passé. Klarheit sieht anders aus. Selbst die Expertinnen und Experten sind sich uneinig, ob und wie gross eine allfällige Strafe für Pierin Vincenz ausfallen wird.
Verschiebung als taktischer Schachzug
Die Verteidiger von Vincenz und dem ebenfalls beschuldigten Beat Stocker haben zunächst auf eine Verschiebung des Prozesses gepocht. Stocker habe die Akten verspätet erhalten und eine intensive Prozess-Vorbereitung sei deshalb verunmöglicht worden. Zudem wurde bemängelt, dass nicht alle Mitangeklagten vor Ort seien (unter anderem wegen einer Coronainfektion). Deswegen können nicht alle Leute befragt werden, was keinen reibungslosen Prozess zulasse.
Schwere Vorwürfe stammen aus den Jahren 2005 und 2006. Dort könnte also schon die Verjährung eingetreten sein.
Hinter der Verschiebung könnte ein taktischer Schachzug stecken, meint Rechtsprofessor Peter V. Kunz. «Schwere Vorwürfe stammen aus den Jahren 2005 und 2006. Dort könnte also schon die Verjährung eingetreten sein oder man könnte sich in die Verjährung retten.»
Der Antrag wurde vom Gericht abgelehnt. Das rechtliche Gehör bleibe auch bei einer späteren Befragung gewahrt, hielt der vorsitzende Richter fest.
Gefordertes Strafmass sei hoch
Sollte das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft nachkommen, droht den Hauptangeklagten eine Freiheitsstrafe von bis zu 6 Jahren. Das sei viel für ein Vermögensdelikt, sagt der emeritierte Strafrechtsprofessor Mark Pieth. «Da sind wir normalerweise in der Zone für Vergewaltigung oder Gewaltdelikte, nicht für Vermögensdelikte.»
Da sind wir normalerweise in der Zone für Vergewaltigung oder Gewaltdelikte, nicht für Vermögensdelikte.
Ob Vincenz und Stocker tatsächlich für eine längere Zeit hinter Gitter müssen, hängt gemäss Pieth massgeblich davon ab, ob es der Staatsanwaltschaft gelingt, das Gericht davon zu überzeugen, dass hier ein Millionen-Betrug stattgefunden hat. Auch Kunz wagt keine konkrete Prognose. Alles sei offen. «Zum heutigen Zeitpunkt kann man überhaupt nicht sagen, ob es zu einer Verurteilung- oder zu einem Freispruch kommt.»
Einen Freispruch hält hingegen die Finanzrechts-Professorin Monika Roth für unwahrscheinlich. Die Hauptbeschuldigten befinden sich in einer prekären Situation. «Da wird einiges hängenbleiben.»
In einer Sache sind sich aber alle drei Rechtsexperten einig: Egal wie das Urteil des Bezirksgerichts Zürich lauten wird - weitergezogen wird es mit Sicherheit.