Bis zu 300 Millionen Franken muss die Raiffeisenbank auf Beteiligungen abschreiben, die man unter dem ehemaligen Chef Pierin Vincenz zusammenramassiert hat. Damit lässt sich zum ersten Mal mit einer Zahl belegen, wie sehr die Misswirtschaft unter Pierin Vincenz die Genossenschaftsbank auch rein finanziell geschadet hat. Vom Reputationsverlust ganz zu schweigen.
Der Bericht des externen Bankenprofessors Bruno Gehrig gibt zwar nur Auskunft über einen Teil der Zukäufe, die Raiffeisen zwischen 2012 und 2015 für rund eine Milliarde Franken getätigt hat. All jene Beteiligungen, welche die Zürcher Staatsanwaltschaft untersucht, waren vom Gehrig-Bericht ausgenommen. Die strafrechtliche Untersuchung der Staatsanwaltschaft ist denn auch weiterhin am Laufen.
Fehlende Zweitmeinungen
Das Fazit Gehrigs ist trotz eingeschränkter Untersuchung aber vernichtend: Raiffeisen kaufte zu, was Pierin Vincenz gerade wollte, oft ohne eine Zweitmeinung über den Kaufpreis einzuholen. So wurde in vielen Fällen zu viel bezahlt, die Akquisitionen ergaben strategisch wenig Sinn und überforderten die Organisation Raiffeisen.
Dass der Bericht keine Hinweise auf strafrechtliches Verhalten findet, hat nur damit zu tun, dass jene Beteiligungen, in denen die Zürcher Staatsanwaltschaft solche vermutet, nicht von Gehrig untersucht wurden. Zudem stellt das Schweizer Strafrecht hohe Hürden: Ein finanzieller Schaden muss einer Person konkret zugeordnet werden können, und er muss vorsätzlich passieren. Die Zürcher Behörde bezieht die Unterlagen der Untersuchung von Gehrig nun aber mit ein.
Vorauseilender Gehorsam
Vernichtend ist der Bericht Gehrig auch für den ehemaligen Verwaltungsratspräsidenten Johannes Rüegg-Stürm: Ohne dass der St. Galler Professor und Spezialist für Corporate Governance namentlich erwähnt ist, wird klar, dass der Verwaltungsrat unter ihm Pierin Vincenz zu keinem Moment überwacht hat. Auch hat es der Verwaltungsrat verpasst, die Bank mit organisatorischen Massnahmen und entsprechenden Richtlinien für all die Zukäufe fit zu machen.
Mitschuldig am teuren Raiffeisen-Debakel sind aber auch all die Ja-Sager in der Geschäftsleitung – inklusive Ex-CEO Patrik Gisel – die es allesamt nicht geschafft haben, Pierin Vincenz zu widersprechen. In vorauseilendem Gehorsam taten die Mitarbeiter das, von dem sie wussten, dass Vincenz es wollte. Zu Recht haben die letzten drei Geschäftsleitungsmitglieder und der Generalsekretär anlässlich der Veröffentlichung des Berichtes von Bruno Gehrig nun den Hut genommen. Und zu Recht versucht die neue Raiffeisen-Spitze nun, möglichst viel der 300 Millionen Franken Schaden aus der Epoche Vincenz von den Verursachern zurückzuerhalten. Auch die Mitverantwortung der Revisionsstelle will Raiffeisen prüfen. Das ist richtig und notwendig.