Sie gelten in der Schweiz als Inbegriff von Läden für Gebrauchtes: Brockenhäuser. Das erste eröffnete vor rund 120 Jahren, lange bevor Begriffe wie «Secondhand» oder «Vintage» hierzulande bekannt wurden – und das Konzept funktioniert immer noch.
So hat sich etwa Barbara Schneider vor drei Jahren ihren Traum vom eigenen Brocki in Pfäffikon/SZ verwirklicht. Ihr Sortiment stellt sie vorwiegend aus Haus- und Wohnungsräumungen zusammen. Von der Porzellanpuppe über den antiken Spiegel bis hin zu Schmuck ist alles dabei.
Der Besuch bei mir in der Brocki21 ist ein Erlebnis.
In Zeiten, in denen viele Leute online einkaufen, setzt Barbara Schneider zu hundert Prozent auf persönliche Beziehungen – einen Online-Shop gibt es nicht. «Der Besuch bei mir in der Brocki21 ist ein Erlebnis.» Die Entdeckungs- und Zeitreise gehöre dazu.
Kein Lädelisterben bei Gebrauchtem
Doch Brockis sind längst nicht mehr der einzige Ort für Gebrauchtes. Während der stationäre Handel mit Neuwaren gegen das Ladensterben kämpft, nimmt die Zahl der Gebrauchtwarengeschäfte zu. Das zeigt ein Blick in die Statistik.
So gibt es auch Gebrauchtwarenläden, die sich auf eine bestimmte Produktgruppe fokussieren. Revendo konzentriert sich etwa auf Handys, Tablets und Computer.
Das Konzept: Produkte ankaufen, aufwerten und weiterverkaufen. Die Gründer haben ursprünglich keine Filialen eröffnen wollen – mittlerweile betreiben sie nebst dem Online-Shop neun Läden.
Für den Besuch im Laden sei vor allem das Vertrauen ausschlaggebend, sagt Mitgründer Aurel Greiner. «Man will das Gerät anfassen können und mit eigenen Augen sehen, was ‹sichtbare Gebrauchsspuren› heisst.» Schliesslich sei ein Handy – auch wenn gebraucht – keine günstige Investition.
Luxus aus zweiter Hand am liebsten im Laden
Günstig ist es auch im Secondhand-Laden für Luxusprodukte Reawake nicht. Aber erschwinglicher, als wenn man die Hermès-Tasche neu kaufen würde. Die gebrauchten Luxusprodukte kommen von Privaten und werden erst nach einer eingängigen Echtheitsprüfung ins Ladenregal gestellt.
Laut der Gründerin Rea Bill ist das Begutachten vor Ort ein Grund, weshalb die Kundschaft in den Laden komme, genauso wie die persönliche Beratung und das Anprobieren von Einzelstücken.
Man schämt sich nicht mehr, Secondhand einzukaufen.
Im Laden werde pro Kunde deutlich mehr verkauft als online. Über zwei Drittel des Umsatzes wird stationär gemacht. Da spiele auch der gesellschaftliche Wandel eine Rolle, sagt die Gründerin. «Man schämt sich nicht mehr, Secondhand einzukaufen. Teilweise gehört es gar zum guten Ton, Gegenständen ein zweites Leben zu schenken.»
«Brockenhäuser» des Internets
Fast nur auf online setzen Auktions- und Kleinanzeigeplattformen wie Ricardo, Tutti und Anibis. Sie sind hierzulande der Inbegriff, wenn es um Secondhand-Shopping im Internet geht und als Brockenhäuser des Internets nicht mehr wegzudenken.
Als die Brüder Stephan und Michael Widmer 1999 die Firma auktion24.ch gründeten, war diese Entwicklung noch nicht absehbar. «Damals kam das Internet erst auf. Ich habe in den USA gearbeitet und hautnah miterlebt, wie Amazon und Ebay entstanden», sagt Stephan Widmer. Sein Bruder führte in der Schweiz ein Computergeschäft. Gemeinsam schalteten sie eine Auktionsplattform auf, um Computer zu versteigern. «Am nächsten Tag gingen die Computer auf der Plattform teurer weg als im Geschäft. Da haben wir gewusst: Das funktioniert.»
Ein solches Wachstum haben wir nie mehr erlebt.
Widmers liessen die Kundschaft bald auch eigene Secondhand-Ware versteigern, um noch mehr Traffic auf die Website zu bringen. Diese wuchs schnell und konnte so auch US-Konkurrent Ebay auf Abstand halten. «Ein solches Wachstum haben wir nie mehr erlebt», sagt Widmer, der heute das Online-Möbelgeschäft Beliani betreibt.
Heute setzt Ricardo wieder auf Secondhand. Dieser Fokus habe mit dem wachsenden Bedürfnis nach Nachhaltigkeit zu tun, sagt der heutige Chef Francesco Vass.
Knapp ein Jahr nach der Gründung verkauften die Brüder auktion24.ch an Ricardo. «Unsere Nachfolger haben einige Opportunitäten ungenutzt gelassen», sagt Widmer heute. Etwa den Aufbau eines Markplatzes à la Amazon. Zwar startete Ricardo mit Ricardo.shops 2014 einen Versuch, dieser wurde aber nach der Übernahme durch Tamedia wieder aufgegeben – auch weil die Plattform mit zu viel Billigware aus China überschwemmt worden sei, wie es damals hiess.
Ricardos einzigartige Position
Laut E-Commerce-Expertin Alexandra Scherrer von Carpathia konnte sich Ricardo eine einzigartige Positionierung im Gebrauchtmarkt erarbeiten. Mit einem geschätzten Umsatz von 800 Millionen Franken im vergangenen Jahr ist die Versteigerungsplattform Marktführerin.
Immer mehr Händler von Neuwaren investieren in Secondhand-Plattformen.
Doch auch die Konkurrenz will einen Teil des Marktes. «Immer mehr Händler von Neuwaren investieren in Secondhand-Plattformen und Community-Plattformen wie Facebook Marketplace und graben Ricardo ebenso das Wasser ab.»
Auch die Kleinanzeigen-Plattformen Tutti.ch und Anibis.ch – sie gehören wie Ricardo zur Swiss Marketplace Group – sind Konkurrentinnen. Im Gegensatz zu Ricardo sind sie für die meisten Verkäufer und Verkäuferinnen gratis. Francesco Vass spricht von ergänzenden Angeboten – niederschwelliger als Ricardo.
Die Konkurrenz im Internet sei nur einen Klick weg, sagt aber auch er. Ricardo reagiere mit immer mehr und kontinuierlichen Investitionen in die technologische Entwicklung. «Zudem vereinfachen wir permanent die Abläufe für unsere Kundinnen und Kunden.» So biete Ricardo beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Post das Abholen von verkauften Gegenständen an.
Das Unternehmen prüft zudem, künftig etwa auch Retouren von Onlinehändlern auf Ricardo anzubieten. Insbesondere im Modehandel sind die Retouren hoch.
Secondhand-Mode auf dem Vormarsch
Im Modemarkt ist Secondhand in den letzten Jahren denn auch besonders schnell gewachsen. Das Geschäft ist inzwischen hart umkämpft, verschiedene Plattformen buhlen um die oft junge Kundschaft.
Eigentlich gilt der Konsum von Gebrauchtgütern als nachhaltig – auch der von Secondhand-Mode. Doch aktuell heize der Trend den Überkonsum sogar noch an, so Jochen Strähle, Professor für Modemanagement an der Hochschule Reutlingen.
Nur bedingt nachhaltig
«Anstatt ein Kleidungsstück zu besitzen, besitze ich nachher vier, fünf oder sechs und wechsle die auch häufiger», so Strähle. «Und diese vier, fünf oder sechs Kleidungsstücke müssen ja auch irgendwo herkommen.»
Die höhere Nachfrage auf dem Secondhand-Markt führe deshalb auch zu einer höheren Nachfrage auf dem Markt für neue Mode. Das sei ein Grund dafür, dass etablierte Modefirmen wie H&M oder Zara in den Markt eingestiegen sind. «Das ist für Unternehmen eine Riesenchance, wieder neue Ware zu verkaufen, da es Bewegung in den Kleiderschrank der Kundschaft bringt», so Strähle.
Neue Plattformen locken junge Zielgruppe
In der Schweiz ist der Online-Markt für Secondhand-Mode überschaubarer als im EU-Ausland. Der Grund: der hiesige Markt ist durch Zölle abgeschottet. Doch auch hier gibt es Bewegung. Neben Platzhirsch Ricardo hat sich mit Marko innerhalb knapp eines Jahres eine Plattform etabliert, die Secondhand-Mode und Social Media mischt und sich damit explizit an ein junges Publikum richtet.
Denn besonders in der Generation Z, bei jungen Menschen zwischen 12 und 27 Jahren, ist Secondhand-Mode beliebt. Doch nicht unbedingt, weil sie einen nachhaltigen Lebensstil pflegen wollen.
«Viele Leute kaufen Secondhand, weil es günstiger ist oder weil es Einzelstücke sind, die sie sonst nirgends finden können, die die Kollegen nicht kopieren können», so Alexander Sutter, Mitgründer von Marko.
Secondhand-Konsum und Nachhaltigkeit
Und was, wenn Secondhand-Mode den Überkonsum von Kleidung weiter anheizt? Noch sei der Secondhand-Markt in der Schweiz aufgrund seiner kleinen Grösse nachhaltig, so Sutter. «Falls Secondhand wirklich einmal so etabliert ist, dass Secondhand-Konsum zum Problem wird, dann muss man sich Gedanken machen, was man da verbessern könnte.»
Konsum und Nachhaltigkeit – auch im Fall von Secondhand-Kleidung keine ganz triviale Beziehung.