Dieses Jahr hätte der Rastatt-Tunnel im Bundesland Baden-Württemberg fertig sein sollen. Doch am 17. August 2017 senkten sich die Geleise über der Tunnelbaustelle um einen halben Meter. Durch die Sperrung geriet der Güterverkehr über Monate ins Stocken. Fünf Jahre später wird noch immer gebaut.
Michail Stahlhut, damals Geschäftsleiter bei SBB Cargo und heute Chef von Hupac mit Sitz in Chiasso, erinnert sich an die dramatischen Folgen. «200 Güterzüge pro Tag mit je einer Kapazität von 40 Lastwagen standen still. Und dies auf dem Rhein-Alpen-Korridor, der Hauptschlagader nach Norditalien durch Gotthard- und Lötschbergbasistunnel. Wenn vor diesen Tunnels die Strecke gesperrt ist, ist die Versorgung mit Sauerstoff nicht mehr gegeben. »
Schadenforderungen hängig
Über einen Monat war diese Transitachse unterbrochen. Auch Alternativrouten waren durch Bauarbeiten blockiert oder generell nicht befahrbar. Der wirtschaftliche Schaden war enorm. Diverse Bahnunternehmen – auch SBB Cargo und BLS – klagten auf Schadenersatz. Die Verfahren seien noch hängig, teilen sie mit.
Die Deutsche Bahn Netze, welche für die Bauarbeiten verantwortlich ist, bestätigt auf Anfrage: Beweiserhebung und Schlichtungsverfahren seien noch am Laufen. Bis auf Weiteres liegen die Forderungen also auf Eis.
Was ist in fünf Jahren gelaufen?
Kurz nach der Sperrung versprachen die Bauverantwortlichen an verschiedenen internationalen Konferenzen Besserung. «Genauso wie in einem guten Organismus muss man Bypässe bauen. Das war unsere Erwartung nach Rastatt», stellt Stahlhut fest.
Für den Korridor Rhein-Alpen, der als Modellkorridor für die Massnahmen gilt, wurde entsprechend ein umfangreiches Umleitungskonzept erstellt.
Die DB Netze wehrt sich: Nach Rastatt habe man ein Handbuch verfasst, das bei international relevanten Störungen eine bessere Koordination und Kommunikation über die Landesgrenzen hinweg sicherstelle, teilt sie gegenüber SRF mit: Für den Korridor Rhein-Alpen, der als Modellkorridor für die Massnahmen gilt, wurde entsprechend ein umfangreiches Umleitungskonzept erstellt.
Nichts gelernt?
Hupac-Chef Stahlhut macht da ein Fragezeichen. Denn auch fünf Jahre nach Rastatt würden Sperrungen von Bahntrassen im Norden kaum koordiniert: Es habe zwar Handlungsempfehlungen gegeben, und die Netzbetreiber in der Schweiz, Frankreich und Deutschland hätten sich überlegt, wie Bypässe zu organisieren wären.
Da wundert es schon ein wenig, dass wir aus der damaligen Zeit so wenig abgeleitet haben.
Doch nun gebe es wieder kleinere Baustellen auf dem Rhein-Alpin-Korridor und gleichzeitig sei wiederum die Gäubahn zwischen Stuttgart und Singen gesperrt. «Da wundert es schon ein wenig, dass wir aus der damaligen Zeit so wenig abgeleitet haben», kritisiert Stahlhut. Eine Kritik, die BLS und SBB Cargo auf Anfrage teilen.
Ausweichroute – es gibt sie
Stahlhut stört sich vor allem daran, dass trotz des Handbuches auch nach fünf Jahren eine wenig genutzte Alternativroute unweit der Rheintalbahn kaum Beachtung findet: Die alte Gotthard-Zuführungsstrecke im Elsass. Zwar gebe es eine Sprachbarriere, weil sich deutsche und französische Lokführer nicht austauschen können, doch mit der nötigen Schulung sei dieses Koordinationsproblem zu meistern.
Der Blick in die Zukunft macht den Hupac-Chef nervös. Denn im August 2024 ist erneut eine grössere Sperrung des Güterkorridors geplant – für drei Wochen zwischen Rastatt und Baden-Baden. Nun müssten die Bahnunternehmen und Staaten auf höchster Ebene Lösungen erarbeiten: «Es wäre fatal, wenn wir im August 2024 ohne Plan aufwachen.»