Als «innovativer Bähnler» hat sich Vincent Ducrot heute vor den Medien präsentiert. Möglicherweise aus Angst, als Neuer zu wenig dynamisch zu wirken, zu wenig aufregend. Dabei dürfte «innovativ» eine Eigenschaft sein, die im Moment auf den Wunschzetteln vieler Angestellter und Reisender an den künftigen Bahnchef weit unten rangiert.
Ein zuverlässiger, unaufgeregter, sozialkompetenter Problemlöser wäre vielen derzeit deutlich lieber. Vielleicht gar eine Art Gegenentwurf zum amtierenden SBB-Chef Andreas Meyer. Ihm wird nachgesagt, sich deutlich mehr für futuristische Lufttaxis zu interessieren als etwa für klemmende Türschliessungen oder fehlende Lokführer. Oder für Befindlichkeiten der Mitarbeitenden.
Vertrauen in die Führung auf dem Tiefpunkt
Diese haben einen Tiefpunkt erreicht. In der eben erst publik gewordenen neuesten Personalbefragung bewerten die SBB-Angestellten ihr Vertrauen in die Führung gerade noch mit 46 von 100 Punkten. Im Vorjahr war es noch ein Pünktchen mehr. Und schon damals schrieb selbst die SBB, dass «das mangelnde Vertrauen der eigenen Mitarbeitenden für die Konzernleitung bedenklich und unbefriedigend» sei.
Nun sind die Ergebnisse von Personalbefragungen zwar nicht immer ein gültiger Indikator für die effektive Qualität eines CEO. Detail-Probleme jeglicher Art, die zum Teil auch anderswo zu verantworten sind, werden schnell mal der obersten Führung angelastet. Was das mangelnde Vertrauen in die Führung allerdings zeigt: Es sind unter Andreas Meyer in den letzten Monaten und Jahren zu viele Problemfelder zusammen gekommen, als dass der Neue, Vincent Ducrot, nun auf Innovationen fokussieren könnte.
Missstände sorgen für schlechte Stimmung
Die Mängelliste ist gross: Zunehmende Verspätungen, Lokführermangel, Sicherheitsmängel bei den Wagentüren, endlose Verzögerungen und Pannen bei der Inbetriebnahme der neuen Doppelstock-Züge. Missstände, die den einst stolzen Mitarbeitenden im Kontakt mit immer verständnisloseren Reisenden immer öfter vorgehalten werden.
Für gute Stimmung bei der Arbeit sorgt das nicht. Womit die Ergebnisse der Personalbefragung wohl ein Bild zeichnen, das nicht bloss die düstere Stimmung beim Personal wiedergibt, sondern auch den schlechten Zustand des Betriebs.
Ein Mann der Praxis
Angesichts dessen wäre der «innovative Bähnler» Vincent Ducrot eine Fehlbesetzung, würde es sich beim – möglicherweise von Einflüsterern verpassten – Etikett tatsächlich um den Kern seiner Kompetenzen handeln.
Davon ist allerdings nicht auszugehen. Ducrot, Elektroingenieur, einst verantwortlich für die Planung des Expo-Zusatzverkehrs, scheint durchaus ein Mann der Praxis zu sein. Einer, dem der heutige Betrieb mindestens so wichtig ist wie die Ideen für morgen. Und er ist einer, der schon einmal 18 Jahre lang in führenden Positionen bei der SBB gearbeitet hat.
«Sicherheit, Pünktlichkeit, Sauberkeit», so lauten gemäss Medienmitteilung denn auch Ducrots Prioritäten im Betrieb. Das ist zwar nicht innovativ, vielleicht auch etwas langweilig. Aber das ist wohl für viele der gebeutelten Mitarbeitenden und Reisenden genau gut so.