Hecan, Osaka Express, Cap San Juan: Das sind Namen von Containerschiffen, die seit Tagen oder Wochen vor Shenzen, Los Angeles und Rotterdam ankern und nicht in die Häfen einlaufen können, um ihre Ware abzuladen. Die Logistikfirma Kühne + Nagel führt täglich Statistik: Momentan stauen sich vor den Häfen rund um die Welt 350 Containerschiffe mit Millionen von Containern – mit Schuhen, Elektronik, Möbeln, Lebensmitteln.
Aber nicht nur auf See, sondern auch an Land stockt es. Auf den Docks, in Lagerhäusern, auf Parkplätzen und Feldern stapeln sich Container. Überall fehlt es an Platz, auch an Lastwagen und Zügen, um die Waren weiter zu transportieren.
Die Pandemie hat die Engpässe in den Häfen nur ans Licht gebracht.
Neu sei das Problem keineswegs, sagt der britische Logistikexperte John Manners-Bell, sondern: «Die Pandemie hat die Engpässe in den Häfen nur ans Licht gebracht. Weil viel mehr Waren verschifft wurden. Es ist aber schon lange klar, dass die Häfen den immer grösseren Mengen nicht gewachsen sind.»
Mangelnde Investitionen rächen sich nun
Denn an vielen Orten sei chronisch zu wenig in die Hafeninfrastruktur investiert worden. Allein in Europa wären bis 2027 um die 50 Milliarden Euro für Sanierung und Ausbau nötig, sagt John Manners-Bell: «Es braucht riesige Summen, damit die Häfen nur schon das normale Güterwachstum bewältigen können, geschweige denn das Pandemie-bedingte Wachstum momentan.»
Investitionen nicht nur in neue Containerterminals, sondern in Krananlagen, tiefere Hafenbecken, Lagerhäuser, Schienen-, Bahn- und Pipeline-Infrastruktur, die zu Häfen hinführen. Und: In Informatik und Automation.
Es braucht riesige Summen, damit die Häfen nur schon das normale Güterwachstum bewältigen können.
Dass vielerorts noch manuell gearbeitet werde, mit veralteten Technologien, führe zu den grössten Engpässen, sagt der US-Ökonom Marc Levinson, der auf Containerschifffahrt spezialisiert ist. Bestehende Terminals zu automatisieren, beispielsweise mit selbstfahrenden Transportern auf den Docks, sei aber nicht so einfach, sagt Marc Levinson. Ein Umbau gehe nur in kleinen Schritten voran und längst nicht jede Hafenanlage sei für die Automatisation geeignet.
China ist Spitzenreiter
Besonders marode sind die Häfen in den USA, die im internationalen Handel wichtig sind. Im sogenannten CPPI-Index, der die Leistungsfähigkeit der Häfen weltweit misst, befindet sich unter den 50 effizientesten Häfen kein einziger US-Containerhafen. Im Hafen von Los Angeles geht es doppelt so lange – nämlich 48 Sekunden – um einen Container zu bewegen, wie in Qingdao in China. Die europäischen Häfen befinden sich dazwischen.
Fragt sich nur, wer die Milliarden in die Hand nehmen soll, um die Hafeninfrastruktur zu modernisieren. In vielen auch europäischen Ländern sind Häfen im Besitz der öffentlichen Hand – betrieben werden sie aber von privaten, gewinnorientierten Terminal- oder Schifffahrtsgesellschaften. Diese könnten die Häfen sehr wohl mit eigenem Geld modernisieren und vergrössern, sagt der US-Ökonom Levinson. Aber viele machten lieber beim Staat die hohle Hand, weil sie das Investitionsrisiko nicht selbst tragen wollten. «Regierungen stehen unter Druck, zu investieren, ohne sicher zu sein, dass es auch rentiert. Regierungen riskieren damit Steuergeld.»
Containerverkehr im Wandel
John Manners-Bell glaubt, dass die Containerschifffahrt grundsätzlich an einem Wendepunkt angelangt ist. Die gigantischen Containerschiffe von heute seien zu gross geworden, um noch effizient abgewickelt werden zu können.
«Vielleicht liegt die Lösung im Bau von neuen, kleineren Häfen, welche von kleineren Containerschiffen öfters angelaufen werden können, damit sie sicher rentieren. Das könnte die Zukunft der Industrie sein.»
Kleinere Containerschiffe sind allerdings mit dem Problem verbunden, dass die C02-Rechnung für die Schifffahrtsgesellschaften nicht mehr aufgeht. Denn je kleiner ein Schiff, desto grösser der C02-Ausstoss pro Container. Die internationale Containerschifffahrt steht – 65 Jahren nach der Erfindung – vor ihrer wohl grössten Herausforderung.