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Soziale Absicherung Zwischen Autonomie und Armutsängsten – wie Selbständige vorsorgen

Wer selbständig arbeitet, hat viele Freiheiten, aber wenig Sicherheiten. Selbständige zahlen AHV und IV – sonst sind sie weitgehend frei. Mit Folgen für sie und die Gesellschaft.

Die Coiffeuse Barbara führt seit 30 Jahren ihr eigenes Geschäft in Bern. Eine Zeit lang hatte sie eine Angestellte, aber lieber arbeitet sie auf eigene Rechnung. Und auf eigenes Risiko. Denn kommen keine Kundinnen und Kunden, kommt auch kein Geld herein.

Frau schneidet einer anderen die Haare.
Legende: Selbständige wie Coiffeuse Barbara leisten sich kaum Krankheitstage. SRF/Susanne Schmugge

Nicht zuletzt deshalb ist Barbara kaum krank: «Ich bin vielleicht einen oder zwei Tage pro Jahr nicht im Laden, weil ich krank bin.» Die Mitfünfzigerin hat zwar eine Krankentaggeldversicherung, aber die übernimmt erst nach 30 Tagen. Bei einer kürzeren Frist wäre die Versicherungsprämie für Barbara viel zu hoch.

Krank sein liegt weniger drin

Ähnlich ist es bei Markus, der seit über 20 Jahren selbständig als Physiotherapeut in der Region Bern arbeitet. Auch er überlegt es sich zweimal, ob er trotz angeschlagener Gesundheit nicht doch arbeiten kann. «Kürzlich habe ich mir eine Rippe gebrochen und bin trotzdem zur Arbeit – halt mit Medikamenten», erzählt er. In seinen Anfangsjahren war es für ihn zudem selbstverständlich, das Telefon mit in die Ferien zu nehmen, um für Patientinnen und Klienten erreichbar zu sein.

Alles muss man selber machen

Nicht nur finanzielle Gründe legen die Hürden zu Hause zu bleiben für Selbständige höher. Auch die Organisation, die mit Ausfällen verbunden ist: «Da bin ich dann stundenlang am Telefonieren», erzählt Markus, «weil jemand den Patienten absagen muss, bzw. wir neue Termine finden müssen.»

Frau hebt Bein, Mann sitzt davor.
Legende: Physiotherapeut Markus behandelt rund 20 Patientinnen und Patienten pro Tag. SRF/Susanne Schmugge

Selbständige arbeiten viel - und sie müssen alles selber machen: Nicht nur Aufträge organisieren bzw. Kunden finden, sie müssen ihre Kundinnen und Klienten auch bei der Stange halten. Und sie müssen kalkulieren, ob das Geld, das hereinkommt, auch reicht. Nicht nur für die Fixkosten im Geschäft und die Versicherungen, auch für die Altersvorsorge.

Angestellt oder selbständig

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  • Selbständige haben nicht den gleichen sozialen Schutz wie Angestellte.
  • Selbständige müssen Beiträge an die AHV, die IV und die EO entrichten. Der Beitragssatz richtet sich nach dem Jahreseinkommen.
  • Zuständig sind die kantonalen Ausgleichskassen. Dort muss sich anmelden, wer selbständig ist.
  • Selbständige sind nicht gegen Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsausfälle versichert. Absicherung gegen Unfälle oder längere Krankheit ist nicht obligatorisch. Ebenso wenig Einzahlungen in die berufliche Vorsorge der 2. und 3. Säule.

Selbständige sind nicht automatisch einer Pensionskasse angeschlossen wie Angestellte. Wollen sie dennoch in die berufliche Versorge einzahlen, müssen sie das alleine stemmen. Denn sie haben keinen Arbeitgeber, der mit bezahlt und sich wie bei Angestellten mit mindestens der Hälfte des Gesamtbetrags beteiligt. Auch darum haben Selbständige oft nicht genug Altersvorsorge. Der Anteil von ehemals Selbständigen ist bei Bezügern von Ergänzungsleistungen im Alter denn auch überdurchschnittlich hoch, wie eine Untersuchung von 2020 gezeigt hat.

Freiheit statt Sicherheit

Und doch: Sowohl Physiotherapeut Markus als auch Coiffeuse Barbara schätzen diese Art des Arbeitens. Die Freiheiten, die damit verbunden sind, gewichten sie höher als alle Unsicherheiten.

Familienvater Markus würde sich allerdings wünschen, dass es auch bei Selbständigen einen Automatismus bei der beruflichen Vorsorge gäbe. Das würde ihn entlasten: «Ich muss stets abwägen, ob ich das, was Ende Jahr übrigbleibt, fürs Alter zur Seite lege – oder ob wir nicht doch mit den Kindern ausgiebig Ferien machen.»

Coiffeuse Barbara ist alleinstehend und hat weniger finanzielle Verbindlichkeiten als Markus. Ihr geht es um die Selbstbestimmung. Und wenn alle Stricke reissen würden, meint sie mit einem Augenzwinkern, gäbe es immer noch die Sozialhilfe.

Trend, 7.2.2025, 18 Uhr

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