Im Marktviertel von Izmir ist trotz milder Herbstsonne nicht viel los. Das sei jetzt immer so, sagt ein Händler namens Murat. «Früher war das anders, da drängten sich hier die Leute, jetzt kommt keiner mehr.» Laut dem 46-jährigen Verkäufer liege das an der hohen Inflation. Jeder müsse seine Lira dreimal umdrehen, bevor er sie ausgebe.
Eine Kundin pflichtet ihm bei. «Ich überlege mir bei jedem Einkauf ganz genau, was ich wirklich brauche und kaufe sonst nichts.» Früher sei sie einfach einkaufen gegangen. Heute kauft sie gerade einmal zwei Tomaten und fünf Peperoni, und dies, obwohl sie früher mit kiloweise Gemüse den Kühlschrank gefüllt habe.
Hohe Inflation erst seit kurzem
Lange her ist das noch nicht. Vor drei Jahren war die Inflationsrate in der Türkei noch einstellig. Murat denkt mit Wehmut daran zurück. «Früher fuhren wir alle mal in den Urlaub. Heute geht es nur noch darum, satt zu werden.»
Früher fuhren wir alle mal in den Urlaub. Heute geht es nur noch darum, satt zu werden.
Urlaub können sie sich schon lange nicht mehr leisten, sagt auch die 29-jährige Boutiqueverkäuferin Neslihan. «Ich brauche einen Mantel für den Winter, aber mein Geld reicht nicht dafür.» Sie habe ihre Freundin gebeten, ihr ihre Kreditkarte auszuleihen, damit sie den Mantel auf Raten kaufen könne.
Damit ist sie nicht alleine: Viele Türken nutzen Kreditkarten, Überziehungskredite und den Kauf auf Raten, um sich über Wasser zu halten. Umgerechnet über 70 Milliarden Euro an Schulden haben sie so schon angehäuft.
Sparen beim Fleisch, der Nachhilfe und Heizung
Ewig gehe das aber auch nicht, sagt eine Rentnerin namens Belgin. Sie jobbt auf dem Markt, weil die Rente nicht zum Leben reicht. Ihre Kreditkarte sei ausgereizt und sie habe Schulden. «Ich grübele ständig darüber nach, wie wir über die Runden kommen sollen.»
Deshalb würden sie sich immer weiter einschränken: «Wir essen kein Fleisch mehr und nur den billigsten Fisch. In unserem Mietshaus gibt es Gasheizung, aber die macht keiner mehr an, wir heizen alle mit Holzofen.»
Ich spare an der Ausbildung meiner Kinder, die bekommen keine Nachhilfe mehr.
Auch ein Marktbesucher namens Özgür berichtet vom Sparen, etwa indem er nicht mehr ausgehe. «Ich spare an der Ausbildung meiner Kinder, die bekommen keine Nachhilfe mehr.» Trotz den Sparbemühungen schaffe man es nicht alleine.
Überleben dank Lebensmittel von Verwandten
Bei dieser Inflation hat man alleine keine Chance, sagt auch Händler Murat. Mindestens zwei bis drei Personen pro Haushalt müssten arbeiten, damit es für Miete, Nebenkosten und Lebensmittel reiche. «Unsere Eltern schicken uns Käse, Joghurt und Butter aus ihrem Dorf. Anders würde es nicht gehen», fügt sein Nachbar Sedat hinzu.
Unsere Eltern schicken uns Käse, Joghurt, Butter aus ihrem Dorf. Anders würde es nicht gehen.
Umstehende Händler stimmen ein und zählen die Lebensmittel auf, die sie von Verwandten aus ihren Heimatdörfern am Schwarzen Meer, an der Ägäis und Südostanatolien geschickt bekommen. «Alles aus Eigenanbau.»
Auf die Hilfspakete vom Land seien sie zum Überleben in der Stadt heute angewiesen, sagen die Männer. Dabei waren sie einst in die Stadt gekommen, um hier ihr Glück zu machen. Traurig sind sie darüber und ratlos, aber nicht aufgebracht oder wütend auf ihre Regierung.
Anderswo auf der Welt sei es auch nicht besser mit der Inflation, berichtet das türkische Fernsehen immer wieder. Und in Europa seien die Regale leer. In der Türkei dagegen fehle es an nichts, sagt Staatspräsident Erdogan. Und zumindest ein Marktbesucher glaubt es ihm. «Ihr seid doch nur neidisch auf uns. Deshalb sage ich euch nichts. Ihr seid nur neidisch.»