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Strassenszene in Indien.
Legende: In Indien kostet ein Firmenkredit 10 bis 12 % Zinsen. Schulden im Ausland sind günstiger, aber nicht ohne Risiko. SRF

Steigende Zinsen in den USA Die gefährliche Last für Schwellenländer

Die US-Notenbank hebt die Zinsen an und beeinflusst damit die ganze Welt. Schwellenländer wie Indien spüren das.

Für die Menschen in Indien ist die US-Notenbank mehr als 10'000 Kilometer entfernt. Doch für den indischen Unternehmer Gaurav Rajani ist die amerikanische Geldpolitik dieser Tage ganz nah. Denn seine Importe sind teurer geworden.

Der Grund: Die indische Rupie hat gegenüber dem US-Dollar seit Anfang Jahr über 13 Prozent an Wert verloren. Und Gaurav Rajani kauft in US-Dollar ein. «Mit unseren Kunden haben wir Verträge zu fixen Preisen», sagt er. «Wir können nicht einfach bei denen anklopfen und sagen, wir wollen neue Verträge und die Mehrkosten überwälzen. Wir sind besorgt.»

Mann mit Schutzhelm.
Legende: Gaurav Rajani produziert in Mumbai hydraulische Maschinen. «Wir sind besorgt.» SRF

Seine Massnahmen: Er sucht Lieferanten, die nicht in US-Dollar abrechnen. Und er will künftig Verträge so abschliessen, dass Währungsschwankungen nicht mehr zu seinen Lasten gehen.

Schulden dank tiefer Zinsen

Nach Ausbruch der Finanzkrise hatte die US-Notenbank Federal Reserve die Zinsen praktisch auf Null gesenkt. Sie wollte damit die Wirtschaft anzukurbeln.

Für Investoren hiess das: Sie suchten andernorts nach höheren Zinsen – und fanden diese Möglichkeiten in Schwellenländern. Firmen in diesen Schwellenländern wiederum konnten sich einfacher verschulden.

Grafik, die einen Anstieg von 1,5 Billionen auf 3,7 Billionen Dollar zeigt.
Legende: Heute haben Schwellenländer mehr als doppelt so viele Dollar-Kredite ausstehen wie vor 10 Jahren. SRF

Lage in Argentinien ist noch schwieriger

Der argentinische Peso hat noch massiver gegenüber dem US-Dollar verloren als die indische Rupie: 50 Prozent seit Anfang des Jahres.

Textil-Unternehmer Marco Meloni klagt, dass Kredite immer teurer würden. Ebenso stiegen die Energiekosten, da sie in US-Dollar berechnet würden – genauso wie das importierte Garn.

«Samstags arbeiten wir nicht mehr, insgesamt haben wir 40 Prozent weniger Arbeit», sagt Marco Meloni. «Das Schlimmste ist: Man wartet darauf, dass Konkurrenten schliessen müssen, um vom Unglück der anderen zu profitieren. Nur: Wer überlebt, wird in einer ziemlich trostlosen Zukunft leben.»

Mann mit Brille und Weste.
Legende: Marco Meloni fertigt in Quilmes bei Buenos Aires Stoffe. «Am Schluss sind wir vielleicht noch zwei Arbeiter.» SRF

Ex-EZB-Präsident warnt vor Gefahren

Milliarden fliessen derzeit aus den Schwellenländern ab. Ein Grund sind die hausgemachten Probleme in den Schwellenländern: zu hohe Schulden, ein trübes Investitionsklima. Ein zweiter Grund: Nach mehreren Zinserhöhungen der US-Notenbank liegen die Leitzinsen in den USA erstmals seit Herbst 2008 wieder bei über 2 Prozent. Nun verlieren die Währungen in den Schwellenländern gegenüber dem Dollar an Wert. Schuldzinsen in Dollar werden teurer.

Firmen in Schwellenländern verschulden sich nicht nur in Dollar, sondern auch in heimischer Währung. Auch diese Verschuldung ist massiv angestiegen. Jean-Claude Trichet, der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, hält das Finanzsystem heute für so verwundbar wie 2008. In einem Interview mit dem französischen TV-Sender «France 24» sagte er: «Die Schwellenländer haben Geschmack daran gefunden, sich zu verschulden. Sie tragen heute deutlich mehr zum globalen Wachstum der Verschuldung bei als früher. Und wenn man die Weltwirtschaft global betrachtet, dann ist sie durchaus verletzlich. Wir leben in einer Welt, die gefährlich bleibt.»

Wie heikel ist die Situation für die Schwellenländer? Inwiefern betrifft sie uns alle? Antwort auf diese Fragen gibt Ökonom Mathias Hoffmann im Interview.

Mathias Hoffmann

Ökonom

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Mathias Hoffmann ist Professor für Internationalen Handel und Finanzen an der Universität Zürich. Davor war er an den Universitäten in Dortmund, Southampton und Berkeley tätig.

SRF News: Weshalb haben sich Schwellenländer in Dollar verschuldet und nicht in ihrer eigenen Währung?

Mathias Hoffmann: Weil es günstiger ist. Wenn sich eine Firma in Dollar verschuldet, trägt sie zwar das Währungsrisiko, dafür hat sie Zugang zu den tieferen Zinsen im Dollarraum. Und das wollen sich viele Firmen in Schwellenländern nicht entgehen lassen.

Wer verschuldet sich?

Man muss differenzieren: Die Staaten sind in den Schwellenländern fast durchgehend in der Lage, ihre Schulden in heimischer Währung zu finanzieren. Das war in den 1970er- und 1980er-Jahren anders. Heute verschulden sich vor allem grosse Firmen in Dollar. Insgesamt ist der Anteil der Dollarverschuldung an der Gesamtverschuldung dieser Länder aber tiefer als vor der Finanzkrise.

Die Währungen vieler Schwellenländer haben gegenüber dem Dollar an Wert verloren, im Falle von Argentinien um mehr als 50 Prozent dieses Jahr. Mit welchen Folgen?

Die Einkünfte der Firmen sind oft in heimischer Währung, etwa in Peso oder Lira. Ihre Schulden sind in Dollar, und diese müssen sie laufend bedienen. Das kann sehr schnell untragbar werden. Gefährlich wird es, wenn Investoren erkennen, dass viele Firmen wegen der Dollar-Schulden verletzlich geworden sind.

Dann kommt häufig ein selbsterfüllendes Element hinzu: Investoren suchen unabhängig von den Fundamentaldaten dieser Länder den Exit und verschärfen damit die Krisen.

Weshalb können die Schuldenprobleme in den Schwellenländern weit über deren Grenzen hinaus zu Problemen führen?

Bis in die 1980er-Jahre funktionierten Schwellenländer-Krisen so: Europa oder die USA erhöhten die Zinsen. In der Folge waren die Dollar-Schulden der Schwellenländer nicht mehr tragbar.

Es kam zu Finanzierungsstopps, und die Investoren, von denen viele nur kurzfristig engagiert waren, verschoben ihr Geld so rasch wie möglich in die USA, nach Europa oder Japan. Das hat in den Schwellenländern zu Krisen geführt. Es war im Wesentlichen eine Einbahnstrasse, weil die Schwellenländer einen kleinen Anteil der Weltwirtschaft ausmachten.

Und heute?

Heute ist die Welt eine andere: Schwellenländer machen über 50 Prozent der Weltwirtschaftsleistung aus, sie tragen überproportional zum Wachstum bei, sie sind wichtige Nachfrager nach unseren Produkten. Und sie sind zu wichtigen Investoren in westlichen Ländern geworden.

Gewisse Länder sind sehr verletzlich.

Bezahlen die Schwellenländer jetzt die Zeche der Zinswende in den USA?

Natürlich muss man seine Hausaufgaben machen, und man kann sich fragen, ob das etwa in Argentinien oder der Türkei wirklich geschehen ist. Aber es ist schon so, dass diese Länder nun die Zeche einer Geldpolitik in Europa und den USA zahlen, die sehr rücksichtslos war.

Warren Buffet sagte einst: «Wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer nackt geschwommen ist». Man sieht vor dem Hintergrund einer normalisierenden US-Geldpolitik, dass gewisse Länder verletzlich sind, und da haben wir noch nicht alles entdeckt. Aber die Schwellenländer sind nicht generell gefährdet. Denn viele von ihnen haben mittlerweile intakte Wachstumsmodelle.

Aus vielen Schwellenländern fliesst Kapital ab, nicht so aus China. Was machen die Chinesen anders?

Die Chinesen haben aus früheren Schwellenländer-Krisen gelernt. Sie sagen sich: «Nicht mit uns, wir lassen keine freien Kapitalflüsse zu.»

Natürlich hat das Nachteile für Firmen und Investoren aus den westlichen Industrieländern und Japan, die in China nicht frei investieren können - im Gegensatz zu chinesischen Firmen in Europa und den USA. Aber man muss zugestehen, insgesamt hat es für die Chinesen bislang gut funktioniert.

Ist das ein Argument, den freien Kapitalverkehr zu überdenken?

Als Ökonom bin ich vorsichtig, dies so pauschal zu fordern. Machen wir uns nichts vor: Für China hat die Abschottung auch Nachteile: Für viele ineffiziente Staatsunternehmen ist es in Chinas abgeschottetem Kapitalmarkt recht gemütlich – sie bekommen von den staatlichen Banken immer noch Geld.

Gleichzeitig fehlt kleinen, dynamischen Unternehmen ohne politische Beziehungen oft das Kapital. Auf Dauer kann das nicht gut sein.

Aber?

Wenn wir aber eine empirische und globale Perspektive einnehmen, können wir verschiedene Wachstumsmodelle von Ländern vergleichen. Und stellen fest, dass China mit seinen Regeln im Vergleich zu vielen anderen Schwellenländern sehr gut gefahren ist.

Das heisst aber nicht, dass das ein Rezept für alle Länder ist. Wenn sich alle so verhalten würden, wären die Spielregeln des freien Kapital- und Warenverkehrs schnell am Ende. Der Rest der Welt hat das im Falle Chinas bislang akzeptiert, weil China ein so grosser und attraktiver Markt ist.

Das Interview führte Andreas Kohli.

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