Mit dem Einstieg ins Video-Streaming 2007 hat Netflix die Chancen des Internets früh erkannt. Inzwischen hat das Tech-Unternehmen aus Kalifornien viel Konkurrenz und sucht im gesättigten Markt nach neuen Einnahmequellen. SRF-Digitaldirektor Jürg Tschirren zu den wichtigsten Stationen des Branchenriesen.
Wie ist Netflix gross geworden?
Die Firma ist am 29. August 1997 im kalifornischen Scotts Valley von Marc Randolph und Reed Hastings gegründet worden. Gross wurde Netflix mit dem Online-DVD-Verleih. Den Versand mit den handlichen DVDs startete Netflix 1997 – kurz nach Markteinführung des neuen digitalen Datenträgers. In den besten Jahren um 2010 wurden täglich über zwei Millionen DVDs verschickt. Das DVD-Geschäft wird nun eingestellt, weil es neben dem Video-Streaming kaum mehr eine Rolle spielt. Die Millionen noch gelagerter Verleih-DVDs sollen an die Kundschaft verteilt werden.
Wie ist Netflix zum Streaming-Platzhirsch geworden?
Netflix erkannte 2007 früh, dass das Internet der Verteilkanal der Zukunft ist. Dies auch dank des Erfolgs der Streaming-Plattform Youtube, die zwei Jahre zuvor an den Start gegangen war. Netflix merkte: Das Publikum ist für einen Streaming-Dienst bereit und die Technologie ausgereift genug. Netflix als Technologieunternehmen hatte keine Berührungsängste, sich auf neue Technologien einzulassen. Im Gegensatz zu den klassischen Film- und Unterhaltungsunternehmen, die lieber Lizenzgebühren kassierten, statt eigene Streaming-Plattformen aufzubauen. Vom frühen Einstieg profitiert Netflix noch heute. Je nach Auslegung der Zahlen ist Netflix noch immer die Nummer eins oder liegt nur knapp hinter Amazon.
Erfolg mit neuster Technologie – ist Netflix Lehrbeispiel?
Das Beispiel Netflix zeigt sehr schön, dass die Digitalisierung Unternehmen neue Chancen gibt, die sich früh auf die neuen Möglichkeiten einlassen. Denn der Aufstieg von Netflix wäre nicht ohne grössere technologische Entwicklungen denkbar gewesen: der Ausbau des Internets an sich, der schnellere Download-Geschwindigkeiten und damit ein Video-Streaming in einer Qualität ermöglichte, wie sie sich das Publikum von Fernsehen und DVDs gewohnt war. Das eindrücklichste Beispiel für eine verschlafene Digitalisierung ist Blockbuster, die ehemals grösste Video- und DVD-Verleihkette der Welt, die zu den besten Zeiten 2004 weltweit über 9000 Filialen hatte. Blockbuster hätte zur Jahrtausendwende Netflix für damals 50 Millionen Dollar kaufen können, was nicht geschah. Heute hat Blockbuster noch eine Filiale – Netflix wird an der Börse mit über 180 Milliarden Dollar bewertet.
Wie steht Netflix heute da?
Die goldenen Zeiten des grossen Publikumszuwachses im Video-Streaming sind wohl vorbei. Nicht nur für Netflix, sondern auch für die Konkurrenz wie Disney, Apple, Filmstudios und TV-Sender mit eigenen Streaming-Plattformen. Netflix wird heute an der Börse etwa um ein Drittel tiefer bewertet als Ende 2021, wobei das Unternehmen in den letzten Monaten wieder zulegen konnte. Gemäss dem neuen Jahresbericht der Interessengemeinschaft elektronische Medien (Igem) verlieren Netflix und Disney in der Schweiz erstmals seit 2014 Zuschauende.
Einen Grund dafür sieht SRF-Filmexperte Michael Sennhauser im grossen Angebot. «Einerseits führt das zu einer gewissen Müdigkeit, andererseits kommt es zum massiven Konkurrenzangebot. Die Leute hangeln sich von Probeabo zu Probeabo.» Entsprechend wird vermehrt gespart und nach neuen Einnahmequellen gesucht. So erhöhte Netflix mehrmals die Abogebühren und führte Abos mit Werbung ein. Härter geht Netflix auch gegen Leute vor, die sich ein Passwort teilen. Zugleich mehren sich die Proteste von Berufsgruppen aus der Filmbranche, die sich von den Streaming-Diensten übervorteilt sehen und besser am Gewinn beteiligt werden wollen.