Für Iain Anderson ist der Brexit zum beruflichen Hauptinhalt geworden, wenn auch unfreiwillig. Unzählige Sitzungen mit Firmenkunden, Treffen mit Regierungsvertretern und diverse Medien-Auftritte zum Thema hat er hinter sich. Dabei plädierte der Autor und Gründer der Beratungs- und Lobbying-Firma Cicero Group stets für einen wirtschaftsverträglichen Brexit.
Zwar stimmte er im Juni 2016 noch für den Verbleib in der EU. Doch heute ist er dafür, den Ausstieg durchzuziehen. So wie es Premierminister Boris Johnson will, dessen Tory-Partei der gebürtige Schotte Anderson seit vielen Jahren angehört.
«Wir hatten eine demokratische Abstimmung», sagt er. «Ich denke, nun müssen wir auch austreten.» In seinem Buch habe er versucht zu zeigen, dass es darauf ankomme, wirtschaftlich möglichst sinnvoll auszutreten. Will heissen: kein Brexit ohne Übergangs-Vertrag mit der EU, sodass die Unternehmen sich auf das künftige Verhältnis zur EU einstellen können.
Johnson bedient die Klaviatur gekonnt
Das nervenaufreibende Ringen der Politik um die beste Form des Brexit ist Gegenstand seines Buches. Im Mittelpunkt steht dabei der Zwist zwischen der politischen Führung des Vereinigten Königreichs und der Wirtschaftselite des Landes.
Denn die meisten Vertreter der britischen Geschäftswelt waren von Anfang an gegen den Brexit. Viele führende Politiker aber, namentlich Johnson, haben den EU-Ausstieg zu ihrer politischen Sache gemacht.
Und es war Johnson, der im Sommer 2018 sagte: «Fuck Business». Der derbe Ausspruch ging ihm am Rande eines Empfangs mit ausländischen Diplomaten über die Lippen. Sofort wurde die Entgleisung von der Sonntagspresse kolportiert. Die Nachricht traf in der Wirtschaftswelt einen empfindlichen Nerv und wurde als despektierlich und deplatziert gebrandmarkt.
Das F...-Wort in den Titel
Als erfahrener politischer Beobachter war auch Anderson erstaunt. Eine so abschätzige Bemerkung zu den Interessen der Wirtschaft erwarte man von Leuten aus dem linken Spektrum, aber nicht von einem Politiker rechts der Mitte.
Anderson habe Johnsons Schmähung auf den Titel seines neuen Buches gesetzt, weil sie symptomatisch sei. Etwas sei gründlich schiefgelaufen im Verhältnis von Politik und Wirtschaft im Vereinigten Königreich.
Nach dem Referendum im Sommer 2016 habe sich die Regierung abgeschottet und die Interessen der Wirtschaft zu wenig berücksichtigt, analysiert Anderson. Viele Unternehmensvertreter hätten dies der damaligen Premierministerin Theresa May übel genommen und sich frustriert abgewendet.
Ganz anders sei das noch vor gut zehn Jahren gewesen: Nach Ausbruch der Finanzkrise habe die Regierung der Wirtschaft mit Hilfsmassnahmen unter die Arme gegriffen. Zugleich zog das konservativ geprägte Kabinett ab 2010 einschneidende Sparmassnahmen und eine rigide Finanzpolitik durch.
Konservativ mit gezielt linker Schlagseite
Heute dagegen macht sich selbst der konservative Boris Johnson für Mehrausgaben stark zugunsten der öffentlichen Infrastruktur und des Gesundheitswesens. Politisch mache es Sinn, sich auf die Seite der breiten Öffentlichkeit zu schlagen, die sich wenig bis gar nicht um die Interessen der Wirtschaft und der gut bezahlten Chefs der Grosskonzerne schert.
So gesehen ist Johnsons Äusserung im jetzigen Wahlkampf brandaktuell. Kein Wunder hat er seine Worte nie öffentlich dementiert.