Wie werden Unternehmen oder Staaten erfolgreich? Für Ayaan Hirsi Ali gibt es nur ein Rezept: Dialog und die Suche nach Konsens. «Ich habe allerdings beobachtet, dass wir zu wenig auf Faktoren achten, die die Zusammenarbeit schwierig machen – oder manchmal sogar unmöglich», sagt die prominente Stimme bei ihrem Auftritt am Swiss Economic Forum in Interlaken. Wir riefen manchmal zwar zur Kooperation auf, praktizierten sie aber nicht.
Sie führt Beispiele an:
- Ukraine: 1996 haben Regierungschefs des Westens die Ukraine überzeugt, ihr atomares Waffenarsenal aufzugeben. Dafür wurden eine mit Mitgliedschaft in der Nato und der EU in Aussicht gestellt. «Gleichzeitig haben die Nato-Länder ihre Wirtschaftssysteme mit jenem Russlands verwoben. Das ging immer weiter, auch als das System der russischen Oligarchen klarer wurde und man merkte, dass dieses Regime bedrohlich wird.»
- Brexit: Anfang 2020 trat Grossbritannien aus der EU aus. Aus Ayaan Hirsi Alis Sicht hätte das verhindert werden können, wenn die Sorgen der Mitgliedsstaaten besser beachtet worden wären. «Die Staats- und Regierungschefs der EU haben zwar über Kooperation und Konsens gesprochen, aber das Gegenteil praktiziert.» Das habe dazu geführt, dass eine Mehrheit der Briten keine Lust mehr auf die EU hatten und «eine Art Schweizer Exit praktiziert haben».
- Immigration aus muslimischen Ländern: Die Folgen der Einwanderung werde nach ihrer Auffassung auf den Schultern der Arbeiterklasse ausgetragen. «Daran, dass die Führungsklasse die Bevölkerung als rassistisch und fremdenfeindlich bezeichnet, sieht man, dass sie nicht zuhört.»
Ayaan Hirsi Ali kritisiert auch das World Economic Forum, das vergangene Woche in Davos stattgefunden hat. Im Namen der Zusammenarbeit und des Konsenses würden «Tyrannen Willkommen geheissen». Aber: «Gibt es einen ehrlichen Austausch über die Menschenrechtsverletzungen in China oder die Politik der chinesischen Regierung?»
Tatsächlich war China nur mit einer kleinen Delegation vor Ort und russische Teilnehmer waren vollständig ausgeladen worden. Doch der Emir von Katar war zugegen und sprach von der enormen Nachfrage nach seinem Gas. Tamim bin Hamad Al Thani ist mit grosser Macht ausgestattet und führt sein Land nach den Gesetzen der Scharia.
Laute Islam-Kritikerin
Ayaan Hirsi Ali ist eine lautstarke Kritikerin des Islams. Sie prangert immer wieder die Stellung der Frauen an. Das aktuelle Beispiel, das sie nennt, ist Afghanistan.
Westliche Kräfte haben sich aus dem Land zurückgezogen, nun regieren die Taliban. Nach anfänglichen Versprechungen, moderat vorzugehen, zeigen sich inzwischen deutliche Veränderungen für die afghanischen Frauen.
So müssen sich Frauen in der Öffentlichkeit komplett verhüllen. Auch sind Schulen für Mädchen ab der sechsten Klasse nicht wie angekündigt wieder eröffnet worden.
Im Interview mit Reto Lipp sagt Ayaan Hirsi Ali: «Wenn man Menschen mit einer radikalen islamistischen Ideologie ein Land führen lässt, neigen sie dazu, es zu zerstören.»
Morddrohungen und Polizeischutz
Ihre Kritik am Islam macht sie seit 20 Jahren zur Zielscheibe islamistischer Kreise. Sie erhält immer wieder Morddrohungen und steht unter Polizeischutz.
Die heute 52-Jährige ist überzeugt, ein Weg zu Frieden und Versöhnung könne gefunden werden. «Aber dazu braucht es Mut. Dazu braucht es Ehrlichkeit. Und es braucht sehr viel Anstrengung.»