Deutschland hat den Teil-Lockdown bis am 10. Januar verlängert. Der renommierte deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn war bislang optimistisch, er sprach von einem «umgekehrten Wurzelzeichen» bei der Wirtschaftsentwicklung: rascher Absturz, rascher Aufschwung, aber auf niedrigerem Niveau als ursprünglich. Nun beurteilt er die Lage während der zweiten Corona-Welle.
SRF News: Sind Sie weiterhin so optimistisch, Herr Sinn?
Hans-Werner Sinn: Wir haben definitiv einen sehr starken Aufschwung im dritten Quartal gehabt. Der zweite Lockdown reduziert den Optimismus wieder. Aber: Wir haben inzwischen auch die Impfung. Die Zeichen stehen auf Optimismus, das nächste Jahr wird im Zeichen eines weiteren Aufschwungs sein. Man kämpft sich mühsam wieder hoch.
Der deutsche Staat hat allein für November und Dezember 30 Milliarden Euro aufgewendet. Wie lange kann er das noch machen?
Wir sind in der guten Situation, dass wir vor der Krise bei der Schuldenquote knapp unter 60 Prozent waren – im Gegensatz zu all den anderen Ländern. Die jetzige Verschuldung ist natürlich ein Problem. Die Schuldenquote wird wohl massiv steigen, in Richtung 77 Prozent. Wir dürfen es nicht übertreiben. Aber das ist Schnee von gestern. Die Entscheidungen sind gefallen. Wir müssen jetzt impfen, impfen, impfen, damit die ganze Sache auf diese Weise bekämpft wird.
Man macht einen relativ leichten Lockdown und federt ihn mit enorm viel Geld ab. Das heisst, es dauert lange und kostet enorm viel. Macht diese Strategie Sinn?
Es kostet lange nicht so viel wie im Frühjahr. Die betroffenen Sektoren machen nur vier Prozent der Wertschöpfung aus. Durch den Lockdown im Frühjahr sind viel grössere Kosten entstanden. Nicht für den Staat, aber für die Gesamtwirtschaft. Die jetzige Methode ist viel intelligenter.
Die bisherige Strategie, Kurzarbeit zu zahlen, war ein Anreiz zu Hause zu bleiben.
Vom Grundsatz her machen wir Dinge wie den Vergnügungsbereich und den Tourismus zu und erlauben den Menschen für die Kernarbeit in der Wirtschaft zusammenzukommen. Dann haben sie auch einen Anreiz zur Arbeit zu gehen, treffen dort ihre Kollegen und Freunde. Die bisherige Strategie, Kurzarbeit zu zahlen, war ein Anreiz zu Hause zu bleiben.
Wie gross wird die Arbeitslosigkeit Ende Jahr sein?
Unter fünf Prozent. Das ist keine grosse Affäre. Wir fangen es immer noch mit Kurzarbeiter-Geld ab.
Erwarten Sie eine Armutsentwicklung in Deutschland? Es sind riesige Geldmengen im Umlauf. Viele Deutsche besitzen keine Immobilien, Häuser und Wohnungen. Ihr Geld entwertet sich.
Sie sagen zu Recht: Wer Häuser und Wohnungen hat, wäre von einer Inflation nicht betroffen. Betroffen sind diejenigen, die ein bisschen was haben, aber nicht arm sind. Diejenigen also, die kein Realvermögen besitzen, sondern Sparbücher und Lebensversicherungsverträge. Das war übrigens die Gruppe, die 1923 in der Hyperinflation verloren hat und dann radikalisiert wurde. Das ist eine latente Gefahr.
Ein Inflations-Szenario ist vorstellbar.
Man muss aber die Zeitperspektive im Auge behalten. Es gab eine gewaltige Aufblähung der Geldmenge. Wenn eine Inflation entstünde, wäre diese schwer zu bremsen. Das viele Geld könnte man kaum einsammeln. Das heisst aber nicht, dass das eine Inflation verursacht. Denn das Geld wird zunächst gehortet und nicht ausgegeben. Ein Inflations-Szenario ist aber vorstellbar: Die Corona-Impfungen wirken, die Weltwirtschaft boomt, die Öl- und Importpreise steigen, es gibt eine Lohn-/Preisspirale und die Inflation geht hoch. Das ist aber schwer zu prognostizieren.
Das Gespräch führte Deutschlandkorrespondent Peter Voegeli.