Seit Twitter Elon Musk gehört, drohen viele Nutzerinnen und Nutzer dem Kurznachrichtendienst den Rücken zu kehren. Als neue Heimat fällt oft der Name Mastodon. Tatsächlich sehen sich beide Plattformen auf den ersten Blick ähnlich: Auch bei Mastodon kann man Nachrichten posten, anderen folgen und deren Nachrichten im Netzwerk sehen und kommentieren.
Doch auf den zweiten Blick wird klar, dass Mastodon anders funktioniert als Twitter: unaufgeregter, weniger gehässig – und etwas langweiliger. Diese kulturellen Unterschiede sind durchaus gewollt und haben mit den technischen Funktionen des Netzwerks zu tun.
Der Technologie-Journalist Clive Thompson hat jüngst festgestellt, Mastodon funktioniere «antiviral». Statt wie Twitter die lautesten und kontroversesten Stimmen zu belohnen, baue der Dienst Bremsmechanismen ein, damit sich bestimmte Inhalte nicht rasend schnell im Netzwerk verbreiten.
Mastodon kann sich Langweile leisten
Etwa weil bei Mastodon kein Algorithmus die Inhalte am prominentesten anzeigt, die beim Publikum für besonders viel Aufregung sorgen. Stattdessen werden sie in chronologischer Reihenfolge dargestellt. Ausserdem lassen sich Nachrichten von Dritten zwar mit anderen teilen, aber so geteilte Inhalte nicht mit eigenen Kommentaren versehen. Das soll virale Wellen und Shitstorms verhindern, bei denen Inhalte nur geteilt werden, um für Empörung zu sorgen.
Mastodon steht als freie Software allen zur Verfügung und ist nicht auf Werbeeinnahmen angewiesen. Die Plattform muss ihre Nutzerinnen und Nutzer deshalb nicht mit emotionalen und kontroversen Inhalten lange vor dem Bildschirm halten, um ihnen möglichst viel Werbung anzuzeigen. Kurz: Mastodon kann es sich leisten, weniger aufregend zu sein als andere.
Keine zentrale Moderation
Anders als Twitter oder Facebook ist Mastodon dezentral aufgebaut: Der Dienst besteht aus vielen verschiedenen Servern, sogenannten «Instanzen», die miteinander in Kontakt stehen. So gibt es bei Mastodon keine zentrale Moderation: Jede Instanz kann ihre eigenen Hausregeln erlassen, die von ihren Moderatorinnen und Nutzern durchgesetzt werden.
Sollte eine Instanz beschliessen, aufs Moderieren zu verzichten, können die anderen Instanzen sich vom entsprechenden Server trennen. Seine Inhalte sind im gemeinsamen Netzwerk dann nicht mehr zu sehen, der Server wird zu einem Messageboard für seine Mitglieder degradiert. Genau das ist etwa der rechtsextremen Plattform «Gab» passiert, die 2019 zu Mastodon wechselte.
Es gibt eine Notbremse
Im Gegensatz zu den grossen sozialen Netzwerken hatte Mastodon bis jetzt noch kaum mit Moderationsproblemen zu kämpfen. Das hat mit seinen «antiviralen» Funktionen und der dezentralen Architektur ebenso zu tun wie mit der überschaubaren Grösse des Netzwerkes. Auf den einzelnen Servern haben sich Gemeinschaften gefunden, die ein Wertesystem teilen und kaum miteinander in Konflikt geraten.
Sollte es tatsächlich zu einem Exodus von Twitter-Nutzerinnen und -Nutzern zu Mastodon kommen, könnte sich das ändern. Und je grösser die Mitgliederzahlen einer Instanz werden, desto umfassender werden auch die Moderationsaufgaben. Immerhin: Droht eine Instanz zu gross zu werden, kann sie beschliessen, keine neuen Nutzerinnen und Nutzer mehr aufnehmen.
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Keine elegante Lösung, aber vielleicht die bessere Alternative, als zu einer «Höllenlandschaft» zu werden, als die Twitter gerne bezeichnet wird.