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Typisches Weihnachtsgetränk Glühwein: teuer, oftmals minderwertig – aber heiss geliebt

Weinkenner verschmähen das Getränk, doch auf den Weihnachtsmärkten ist der Durst auf Glühwein ungebrochen.

Mit der Eröffnung der Weihnachtsmärkte machen Glühweinstände ihr grosses Geschäft. Die Kunden und Kundinnen sind bereit, für das Gebräu tief in die Tasche zu greifen. Auf dem Münsterhof in Zürich verlangen die Betreiber den vielleicht höchsten Preis der Schweiz: 8.50 Franken pro Becher.

«Momentan ist er teuer hier, aber das gönne ich mir», sagt eine Kauffrau. Und ein Bankangestellter: «In Zürich ist alles teuer, da ist man sich das fast schon gewöhnt. Aber bei zehn Franken wäre es genug.»

Ein Getränk mit langer Geschichte

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Mosaik mit drei Männern, die mit den Beinen Wein stampfen.
Legende: Mosaik aus dem «Casa del Anfiteatro» im spanischen Mérida. Getty Images

Schon im alten Rom tranken die Menschen warmen, gewürzten Wein. Im ältesten erhaltenen Kochbuch «De re coquinaria» («Über die Kochkunst») ist die Rede vom sogenannten «Conditum Paradoxum», einem Gewürzwein mit folgenden Zutaten:

  • Honig
  • Pfefferkörner
  • Lorbeerblätter
  • Safran
  • Datteln
  • Mastix (Harz einer wilden Pistazienart)

Böse Zungen behaupten, die Wärme und die Gewürze sollten den oftmals minderwertigen Wein der Antike erst trinkbar machen.

Andreas Zimmerli hat den Weihnachtsmarkt auf dem Münsterhof vor fünf Jahren initiiert. Er findet die 8.50 Franken gerechtfertigt; es sei ein spezielles, hochwertiges Rezept: «Unseren Glühwein könnten Sie auch kalt trinken. Es braucht also keine Wärme, damit er geniessbar ist.» Man finanziere mit den Einnahmen die Dekoration und das Kulturprogramm. 600 Liter Glühwein gingen hier Tag für Tag über den Tresen.

Qualitativ meistens schrecklich.
Autor: Philipp Schwander Weinhändler und -kenner

Weinkennern und -kennerinnen treibt das Getränk eher die Tränen in die Augen. Weinhändler Philipp Schwander ist seit 40 Jahren im Weingeschäft tätig. Er war der erste Schweizer, der den Titel «Master of Wine» tragen durfte. Die Prüfung gilt in Fachkreisen als die anspruchsvollste, die es gibt.

Er versuche, Glühwein zu meiden, denn er sei «qualitativ meistens schrecklich»: «Die Grundweine für Glühwein sind meistens miserabel. Denn durch die Gewürze, Zimt, Zitronenschalen und was es da alles drin hat, und den vielen Zucker wäre es auch schade, wenn man einen hochwertigen Wein dafür verwenden würde.»

Auch Sybille Geiser findet Glühwein meistens zu süss. Die Wein-Expertin der Hotelfachschule Zürich schreibt auf Anfrage, es sei «eigentlich schade, dass gerade in einem Hochpreisland wie der Schweiz nicht mehr Wert gelegt wird auf bessere Qualität beim Glühwein.»

Das ist nicht irgendein Fusel.
Autor: Rosy Schäfli Glühwein-Verkäuferin

Nicht nur auf dem Zürcher Münsterhof wehrt man sich gegen den Vorwurf der schlechten Qualität. In Stein am Rhein verkauft Winzerin Rosy Schäfli seit Jahrzehnten Glühwein aus dem eigenen Rebberg. Sie pocht darauf, dass ihr Produkt hochwertig sei: «Das ist nicht irgendein Fusel, sondern ein sehr schönes, gutes Getränk.»

In der sogenannten «Märlistadt» in Stein am Rhein hat der Glühwein den vielleicht tiefsten Preis der Schweiz. Fünf Franken werden hier pro Glühwein fällig. Das ist kaum mehr, als er inzwischen auf vielen Weihnachtsmärkten in Deutschland und Österreich kostet.

Der Grund: Die Standkosten sind für die Betreiber und Betreiberinnen tief. Die «Märlistadt» ist eine Offensive der Stadt, um Stein am Rhein auch als Winterdestination beliebt zu machen. «Es ist einfach nicht kommerziell ausgerichtet», sagt der Präsident des Gewerbevereins, Antonino Alibrando, «der Gewerbeverein will und muss nicht daran verdienen.»

Die potenzielle Marge ist bei Glühwein enorm: Im Detailhandel sind Literflaschen für unter drei Franken zu bekommen. 10-Liter-Kanister kosten rund 30 Franken. Das macht im Einkauf 60 Rappen pro Tasse.

Man muss in diesen Tagen mit Glühwein nicht zwingend das grosse Geld machen. Aber man kann – denn beliebt bleibt er.

10vor10, 6.12.2024, 21:50 Uhr;kobt

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