Der Exodus aus dem Iran sei fast total, berichtet Mehrdad Emadi, der seit Jahrzehnten Institutionen und europäische Firmen beim Geschäft mit Teheran berät. Er blickt zurück auf die letzten Wochen und zählt auf: «Total verabschiedet sich. Die Renault-Gruppe gibt nach drei Jahrzehnten auf, ebenso Peugeot Citroën PSA, aber auch Continental, Fiat und der Stromkonzern Eni aus Italien. Sie alle hatten Vereinbarungen oder fertige Verträge.»
Milliardenaufträge verpuffen im Nichts
Adidas getraut sich nicht einmal mehr, das iranische Fussballteam auszurüsten. So gross ist die Angst, von den USA als Sanktionsbrecher angesehen zu werden. Zu den 22 Milliarden Euro Warenwert in fertigen Verträgen kommen Absichtserklärungen im Wert von 35 Milliarden Euro hinzu. Das alles ist morgen früh nichts mehr wert, wenn die US-Sanktionen gegen Iran wieder einsetzen.
Die aktuelle Lage sei dramatischer als früher, weil die von der Trump-Regierung im Mai unilateral verhängten Sanktionen umfassender seien als die alten Sanktionen vor 2015, erklärt der iranische Experte. Und prophezeit, dass der Handel Europas mit dem Iran fast komplett versiegen werde: «Niemand wird sich mehr getrauen, auf den Iran zuzugehen, niemand wird mehr im Iran Geschäfte machen wollen.»
«Trump wollte vor allem Europa treffen»
Der ehemalige Schweizer Iran-Botschafter Philippe Welti geht davon aus, dass die Trump-Regierung mit den Sanktionen vor allem Europa treffen wollte: «Alle erfolgreichen Exporteure aus Europa, die im Iran tätig sind, sind auch auf dem US-Markt präsent.»
Verboten im Geschäft mit dem Iran ist ab morgen früh der Gebrauch des Dollars, von Gold und Silber. Fast alle Banken haben den Zahlungsverkehr bereits eingestellt und die Konten gekündigt. Nicht mehr geliefert werden dürfen Industriegüter, die Stahl oder Aluminium enthalten. Das betrifft fast alle Maschinenexporte. Ein Bereich, in dem Europa traditionell stark ist.
Nahostexperte Philipp Andrée von der Deutschen Industrie- und Handelskammer pflichtet deshalb bei: «Die europäische Industrie gehört mit der Wiederaktivierung der US-Sanktionen definitiv zu den grossen Verlierern. Denn die Europäer hätten ihre Handelsbeziehungen mit dem Iran 2015 schnell reaktiviert. Firmen seien von der Politik aufgefordert worden, proaktiv tätig zu werden.
Auch Zulieferer betroffen
Doch mit Trump sei ein Szenario eingetreten, mit dem schlicht niemand gerechnet habe, sagt Andrée: «Für die europäischen Unternehmen ist das ein sehr scharfes Schwert und führt zu massiven Problemen. Die Europäische Union ist leider unfähig, sich zur Wehr zu setzen und eigene Massnahmen zu ergreifen.»
Dabei hatte alles hoffnungsvoll begonnen: Die sechs grössten EU-Industrienationen steigerten ihre Exporte in zwei Jahren von vier auf über zehn Milliarden Euro. Das ist wenig überraschend, denn Iran ist mit 80 Millionen meist gut ausgebildeten Konsumenten wirtschaftlich attraktiv.
Die US-Sanktionen sind diesmal wirkungsvoller, weil die USA neu eine sogenannte Drittwirkung eingerichtet hat: So brechen Firmen die US-Sanktionen auch dann, wenn sie sich selbst aus dem Iran zurückziehen, aber noch im Iran tätige Zulieferer haben. Das beschert den europäischen Grosskonzernen einen immensen Kontrollaufwand.
Moskau und Peking stehen bereit
Für den Iran sei der Verlust des Geschäfts mit den Europäern besonders schlimm, erklärt Emadi. Denn sie würden nun wieder in die Arme Russlands und Chinas getrieben. Diese beiden Ländern seien die grossen Profiteure der US-Sanktionen.
So könnten die Russen auf dem Weltmarkt mehr Öl verkaufen und den Iranern Gas zu überteuerten Preisen liefern. Die Chinesen werden laut Emadi wie vor 2015 all jene Produkte in den Iran schleusen, die sonst auf der Welt nicht akzeptiert würden, weil sie Hygiene- oder Sicherheitsstandards nicht erfüllten. Aber auch die USA profitieren von ihren Iran-Sanktionen, können sie doch auf dem Weltmarkt mehr eigenes Erdöl verkaufen.