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US-Wirtschaft bricht ein «Das könnte zu 30 bis 40 Millionen Arbeitslosen führen»

Die US-Wirtschaft könnte laut dem Chef der Notenbank Fed, Jerome Powell, im laufenden Quartal um bis zu 30 Prozent einbrechen. Das hat auch massive Auswirkungen auf jene Länder, welche Waren in die USA exportieren. Trotzdem glaubt Martin Naville nicht an dramatische Folgen für die Schweizer Exportindustrie.

Martin Naville

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Martin Naville ist seit 2004 CEO der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer. In dieser Funktion bemüht er sich um gute Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern.

SRF News: Was bedeutet ein so starker Wirtschaftseinbruch konkret?

Martin Naville: Der befürchtete Einbruch um bis zu 30 Prozent ist eine Folge davon, dass in den USA viel schneller Leute auf die Strasse gestellt und Fabriken geschlossen werden. Doch die US-Kultur erlaubt auch einen viel schnelleren Aufschwung, weil die Leute schneller wieder angestellt werden. Trotz der kurzfristig schlechten Aussichten herrscht in den USA deshalb die Hoffnung auf eine rasche Genesung der Wirtschaft vor.

Gibt es in den USA keine Programme, um Firmen in kurzfristigen Krisen zu stützen, wie etwa bei uns mittels Kurzarbeit?

Es gibt dort nur ganz wenige Programme, um Firmen über die aktuelle Krise hinwegzuhelfen. Im Normalfall werden die Leute entlassen, die Kündigungsfrist beträgt drei Wochen. Das könnte in der Tat zu 30 oder 40 Millionen Arbeitslosen in den USA führen. Dagegen sind in der Schweiz derzeit 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Kurzarbeit. Auf die USA übertragen wären das 80 Millionen Arbeitslose. Wir werden erst nach der Pandemie sehen, welches System besser durch die Krise kommt.

Fed erwartet massiven Wirtschaftseinbruch

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Fed-Direktor Jerome Powell sagte gegenüber dem TV-Sender CBS, das Bruttoinlandprodukt der USA könne im zweiten Quartal um bis zu 30 Prozent abnehmen. Zugleich könne die Arbeitslosenquote auf bis zu 25 Prozent steigen. Trotzdem rechnet Powell nicht damit, dass die Wirtschaftskrise in den USA ähnliche Ausmasse annimmt wie in den 1930er-Jahren. Er sehe eine «gute Chance», dass es im dritten Quartal wieder eine Zunahme des Wachstums der US-Volkswirtschaft gebe – falls die Ausbreitung des Coronavirus eingedämmt werden könne. (sda)

Wie stark wird sich der massive Wirtschaftseinbruch in den USA auf die Weltwirtschaft auswirken?

Die USA sind mit einem Anteil von einem Viertel an der Weltwirtschaft in der Tat immer noch die mit Abstand grösste Wirtschaftsmacht der Welt. Die US-Wirtschaft ist geprägt von einem grossen Handelsdefizit – es werden also massiv mehr Güter in die USA importiert als von dort exportiert. Exportländer werden also unter dem Einbruch zu leiden haben.

Vor allem asiatische Exportländer werden unter dem Wirtschaftseinbruch in den USA leiden.

Ausserdem werden drei Viertel der US-Wirtschaft – oder 18 Prozent der Weltwirtschaftsleistung – aus dem Konsum der Amerikanerinnen und Amerikaner generiert. Ein grosser Anteil dieser Güter – Kleider, Elektronikprodukte, Sportartikel – kommt aus asiatischen Ländern. Vor allem für diese wird der US-Wirtschaftseinbruch einen grossen Effekt haben.

Wird man die US-Krise auch in der Schweiz zu spüren bekommen?

Im ersten Quartal 2020 waren die USA erstmals der grösste Exportmarkt für Schweizer Produkte. Fast die Hälfte der Exporte betraf den Pharma- und Chemiebereich, der kaum mit einem grossen Rückgang rechnen muss.

Die Schweizer Exporteure von Präzisionsinstrumenten und -maschinen werden wohl einen gewissen Rückgang spüren.

Die andere Hälfte betrifft vor allem Präzisionsinstrumente und -maschinen. Dieser Bereich wird wohl einen gewissen Rückgang spüren, doch keineswegs in dem dramatischen Umfang, wie das die asiatischen Kleider- und Elektronikexporteure spüren werden. Alles in allem werden die Schweizer Exporte in die USA deshalb wohl nicht dramatisch zurückgehen.

Die dramatische Fed-Prognose betrifft das laufende zweite Quartal. Gibt es schon Anzeichen, dass sich die Lage bald entspannen könnte?

Das weiss niemand. Jeder Ökonom macht eine individuelle Analyse, doch das Problem besteht darin, dass keiner von ihnen jemals etwas Ähnliches erlebt hat. Derzeit ist es nicht möglich, aus Entwicklungen in der Vergangenheit auf die Zukunft zu schliessen. Es ist schwierig zu sagen, wie sich das Vertrauen der Konsumenten und der Firmen in die Zukunft entwickeln wird. Wenn das Vertrauen nicht zurückkommt, wird weniger investiert und weniger konsumiert. Wir müssen flexibel bleiben und das Beste aus der Situation machen.

Das Gespräch führte Manuel Rothmund.

SRF 4 News aktuell vom 18.5.2020, 11.10 Uhr ; 

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