Ganz schön peinlich – so könnte man die jüngste Episode rund um die Credit Suisse zusammenfassen. Sie kündigte gestern überraschend an, die Veröffentlichung des Geschäftsberichts 2022 zu vertagen.
Der Grund: Eine Intervention der US-Börsenaufsicht SEC, welche die technischen Bewertungen der Kapitalflussrechnungen in den Geschäftsjahren 2019 und 2020 betreffen. Das liest sich kryptisch, und noch ist unklar, was genau dahintersteckt.
Keine vergleichbare Situation
Fakt ist: Der «Late Call» der Börsenaufsicht war für die Credit Suisse Grund genug, den aktuellen Geschäftsbericht nicht zu veröffentlichen. Ein Mittel, zu dem gerade Grosskonzerne nur im äussersten Notfall greifen und das Seltenheitswert besitzt.
Es kommt zwar immer wieder vor, dass Geschäftsberichte kurzfristig verschoben werden, aber die Credit Suisse ist systemrelevant.
In der Schweiz habe es bei einer grösseren Bank noch nie eine vergleichbare Situation gegeben, sagt Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern: «Es kommt zwar immer wieder vor, dass Geschäftsberichte kurzfristig verschoben werden, aber die Credit Suisse ist systemrelevant, hat also eine zentrale Bedeutung für den Finanzplatz.» Das sei aussergewöhnlich, so Kunz.
Ein paar prominente Beispiele lassen sich in der jüngeren Vergangenheit dennoch finden.
Clariant: manipulierte Kennzahlen
Im vergangenen Frühjahr machte der Schweizer Spezialchemiekonzern Clariant Schlagzeilen. Wegen einer möglichen Manipulation wichtiger Bilanzkennzahlen verschob er seinen Jahresabschluss. Die Vermutung: Mitarbeitende hätten Rückstellungen und Abgrenzungen falsch verbucht, um Margen aufzupolieren und Finanzziele zu erreichen. Eine Untersuchung förderte zutage, dass Rückstellungen und Abgrenzungen falsch bewertet wurden. Der Finanzchef musste daraufhin gehen.
Peloton: Schieflage nach Covid
Beim amerikanischen Fitnesskonzern Peloton Interactive war 2022 eine Restrukturierung der Grund für einen verspäteten Geschäftsbericht. Die umfassende Neuausrichtung führte zu Verzögerungen beim Jahresabschluss. Nachdem das Geschäft mit Fitnessgeräten in Coronazeiten geboomt hatte, folgte nach der Pandemie der Einbruch an der Börse und die Entlassung von hunderten Mitarbeitenden.
Evergrande: verpfändete Bankguthaben
Ebenfalls im letzten Jahr verschob der chinesische Immobilienriese Evergrande seinen Geschäftsbericht. Der Konzern hatte Schulden von mehr als 300 Milliarden Dollar angehäuft. Bei der Erstellung des Jahresabschlusses entdeckte eine Tochterfirma, dass mehrere Milliarden an Bankguthaben als Sicherheiten verpfändet wurden. Die betreffenden Banken blockierten das Geld. Die Aktien von Evergrande wurden daraufhin vom Handel ausgesetzt.
Riesiges Reputationsrisiko
Gerade bei kleineren Unternehmen sind Verschiebungen keine Seltenheit. Im letzten Sommer etwa häuften sich an der Schweizer Börse gemäss ihres Regulators SER die Anträge auf Fristverlängerungen. Für jedes Unternehmen und insbesondere für die grossen Player aber gilt: Der Geschäftsbericht dient den Anlegern als zentrale Entscheidungsgrundlage.
Wird nicht fristgerecht publiziert, löst das bei den Investorinnen und Investoren viel Misstrauen aus, das Reputationsrisiko ist immens. Die Credit Suisse tut also gut daran, das Problem mit der US-Börsenaufsicht rasch aus der Welt zu schaffen.