Wie die Weltbank, so hat auch Carmen Reinhart eine gewisse Neigung zu düsteren Prognosen. «Ich will nicht melodramatisch wirken», sagte die 64-Jährige kürzlich in einem Videointerview mit dem Wirtschaftsdienst Bloomberg TV. «Aber die Corona-Pandemie dürfte der letzte Nagel im Sarg der Globalisierung sein.» Die frühere Harvard-Professorin hat Talent darin, aus trockener Forschung knackige Schlagzeilen zu machen.
Berühmt wurde die gebürtige Kubanerin 2009, kurz nach der letzten Finanzkrise, mit einer Fleissarbeit über die Finanzkrisen der letzten 800 Jahre. Der Titel: «Dieses Mal ist alles anders.» Auch das Timing war perfekt: Das Buch, verfasst mit US-Ökonom Kenneth Rogoff, wurde ein Weltbestseller.
Peinlicher Rechenfehler in Studie
Eine These des Forscherteams erregte besondere Aufmerksamkeit. Nach dieser schrumpft das Wirtschaftswachstum von Ländern dramatisch, sobald die öffentliche Verschuldung 90 Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigt. Den Verfechtern harter Sparkurse lieferten die Forscher damit die Munition.
Peinlich nur, dass ein amerikanischer Student wenige Jahre später einen Rechenfehler in der oft zitierten Studie entdeckte. Der enge Zusammenhang zwischen hohen Schulden und Wachstumsschwäche war nicht mehr haltbar.
Reinhart wird nicht gern darauf angesprochen – und verteidigte die kritische Schuldengrenze von 90 Prozent auch noch vor drei Jahren bei einem Gespräch am Rande des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung ab diesem Punkt sei signifikant, wiederholte sie.
Als Chefökonomin der Weltbank wird Reinhart noch oft Gelegenheit haben, den Konnex zwischen Schulden und Wachstum genauer zu erforschen. Ihr neuer Arbeitgeber erwartet, dass die globale Wirtschaftsleistung wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr um über fünf Prozent zurückgeht.
Vergleich mit grosser Depression
Ein Grund dafür sei der schrumpfende Welthandel, sagt Reinhard. Viele Länder konzentrierten sich – als Folge der Pandemie – wieder mehr auf sich selbst. Der Rückgang im Welthandel dürfte das globale Wachstum bremsen, erwartet sie. Und das könnte dann das Ende der Globalisierung einläuten.
Besonders hart dürfte dies ärmere Länder treffen. Einen so starken Einbruch beim Handel in nur einem Jahr, das habe es zuletzt während der grossen Depression gegeben, also in den 1930er Jahren, sagt die Krisenexpertin.
Die frühere Direktorin beim Internationalen Währungsfonds (IWF) zitiert dabei in aller Bescheidenheit aus ihrem eigenen Buch: «Dieses Mal ist alles anders.» Carmen Reinhart ist in ihrem Element.