Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner Rede am Weltwirtschafts-Forum (WEF) in Davos die Flüchtlingskrise ins Zentrum gerückt. Kaum etwas werde Europa in Zukunft so beschäftigen wie diese. «Die EU steht vor der grössten Belastungsprobe ihrer Geschichte», so Gauck.
Die Aufnahme von Verfolgten sei ein «Gebot humanitärer Verantwortung». Nützlichkeitserwägungen dürften dabei kein Massstab sein: «Menschen, die Schutz bedürfen, dürfen auch etwas kosten.» Gauck erinnerte daran, dass Migration für Aufnahme- wie Herkunftsländer oft positive Effekte habe. «Schauen Sie nur die Liste der US-amerikanischen Nobelpreisträger an»; die meisten davon seien nicht in den USA geboren.
Begrenzung der Flüchtlingsströme
Viele Bürger, auch in Deutschland, würden die Zuwanderung Hunderttausender aber als Bedrohung wahrnehmen. Es sei wichtig, dass die Diskussion darüber nicht den Populisten und Rassisten überlassen werde, die überall in Europa auf dem Vormarsch seien. «Über diese Bedenken muss in der Mitte der Gesellschaft diskutiert werden.» Um Akzeptanz für eine solidarische Flüchtlingsaufnahme zu schaffen, müsse deshalb auch über die Begrenzung der Flüchtlingsbewegungen gesprochen werden. Brüssel sei daran, hier Lösungen zu suchen.
In diesem Zusammenhang übte Gauck scharfe Kritik an den osteuropäischen Staaten, die sich heftig gegen einen dauerhaften Mechanismus zur Umverteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Staaten wehren. Es sei verständlich, so Gauck, dass in den Ländern Mittel- und Osteuropas die Angst vor Veränderung und die Sorge um die nationale Identität besonders gross seien. «Ich kann aber nur schwer verstehen, wenn ausgerechnet Länder Verfolgten ihre Solidarität entziehen, deren Bürger als politisch Verfolgte einst selbst Solidarität erfahren haben.» Und er mahnte zugleich: «Wollen wir wirklich, dass das grosse historische Werk, das Europa Frieden und Wohlstand gebracht hat, an der Flüchtlingsfrage zerbricht?»
Gauck warnte zudem davor, dass ohne einen sicheren Schutz der EU-Außengrenzen nationale Grenzen wieder an Bedeutung gewinnen würden. Wenn die Freizügigkeit in Europa verloren ginge, wäre dies keine gute Lösung.«Sollte uns wirklich nichts Besseres gelingen?»