Die Stille ist ungewohnt. Einzig das leise Surren eines Elektromotors ist zu hören. Sonst ist es ruhig in der Fahrerkabine von Lars Gerber. Und das, obwohl er ausserorts auf einer Hauptstrasse unterwegs ist.
Lars Gerber fährt nicht einen normalen Lastwagen mit einem Dieselmotor, sondern einen Wasserstoff-Lastwagen: «Der Wasserstoff-LKW macht im Unterschied zum Verbrennungsmotor keinen Lärm. Das ist angenehm.»
Sein Lastwagen ist eigentlich ein elektrisch angetriebenes Fahrzeug: Den Strom bezieht der Lastwagen allerdings nicht aus einer Batterie, die vorgängig geladen wird, sondern er wandelt den Wasserstoff fortlaufend in Strom um.
Noch ist Lars Gerber mit seinem Wasserstoff-Lastwagen ein Exot auf den Schweizer Strassen. Bislang sind 46 solche LKW unterwegs. Kein Vergleich angesichts der gut 50'000 Lastwagen, die aktuell in der Schweiz zugelassen sind.
Doch in den kommenden Jahren soll sich das ändern, so das erklärte Ziel des Fördervereins H2-Mobilität. In diesem Verein haben sich grosse Detailhändler, Transportunternehmen und Tankstellenbetreiber zusammengeschlossen, um die Wasserstoff-Technologie in der Schweiz voranzubringen und damit ihren CO₂-Fussabdruck zu reduzieren.
Wasserstoff vs. Batterie
Die Unternehmen setzen auf Wasserstoff, weil er eine klimafreundliche Alternative zu fossilen Treibstoffen darstellt. Unbestritten ist, dass grüner Wasserstoff keine umweltschädlichen Auswirkungen hat.
Bei der Frage nach der Effizienz von Wasserstoff gehen die Meinungen allerdings auseinander. Anthony Patt von der ETH Zürich ist skeptisch: «Rein energetisch wäre es sinnvoller, Batterie-elektrisch als mit Wasserstoff zu fahren.» Es sei effizienter, mit dem Strom direkt eine Batterie in einem Fahrzeug zu laden, anstatt ihn zuerst für die Wasserstoffproduktion zu verwenden und später daraus wieder Strom herzustellen, so der Professor für Klimaschutz und Klimaanpassung.
Betrachte man Wasserstoff aber in einem grösseren Zusammenhang, dann spiele die Effizienz eine untergeordnete Rolle, ergänzt Patt: «Wenn die Schweiz die Stromproduktion im Winter ausbaut, werden wir im Sommer zu viel Strom haben. Mit dieser Energie könnte man im Sommer durchaus Wasserstoff herstellen.»
Mit Wasserstoff kann der überschüssige Strom gespeichert werden.
Bereits heute zeichne sich ab, dass es künftig europaweit zwischenzeitlich zu viel Strom habe, meint Jörg Ackermann, Präsident des Fördervereins H2-Mobilität: «In einem erneuerbaren Energiesystem ist man den Launen der Natur ausgesetzt: Die Stromproduktion aus Wind- und Sonnenkraft wird nie mit der Stromnachfrage übereinstimmen.»
Je mehr Windparks und Solaranlagen gebaut würden, desto mehr überschüssiger Strom falle an. Hierfür sei Wasserstoff die ideale Lösung, ist Jörg Ackermann überzeugt: «Mit Wasserstoff kann der überschüssige Strom gespeichert werden.» Wasserstoff lässt sich – wie Erdgas – in grossen Mengen speichern und kann zu einem späteren Zeitpunkt weiterverwendet werden: Beispielsweise im Winter, um Strom herzustellen oder um ihn direkt als Treibstoff zu verwenden.
Anthony Patt von der ETH Zürich widerspricht nicht grundsätzlich, zweifelt allerdings an der Wirtschaftlichkeit: «Wenn man in die Wasserstoffproduktion investiert, dann möchte man diese Anlagen das ganze Jahr benutzen und nicht nur temporär. Ansonsten sind die Kosten pro Kilo Wasserstoff zu hoch.»
Knifflige Routenplanung
Derweil steht Lars Gerber im Alltag vor einer anderen Herausforderung: 5000 Kilometer hat der 23-jährige Chauffeur in den vergangenen Monaten mit dem Wasserstoff-Lastwagen zurückgelegt. «Stehen geblieben bin ich glücklicherweise noch nie», sagt er lachend, «aber knapp ist es auch schon geworden.»
Diese Frage stellt sich, weil es bislang kaum Wasserstoff-Tankstellen in der Schweiz gibt. Ein entsprechendes Tankstellennetz befindet sich erst im Aufbau.
Bis vor kurzem gab es gerade einmal eine einzige Wasserstoff-Tankstelle. Dieses Jahr sind nun fast im Monatstakt weitere Anlagen hinzugekommen: Zwischen Boden- und Genfersee sind inzwischen neun Wasserstoff-Tankstellen in Betrieb.
Eine davon steht seit einem Jahr bei Schwab-Guillod auf dem Betriebsgelände. Bevor Lars Gerber zu seiner Nachmittagstour aufbricht, füllt er den Tank mit Wasserstoff.
Im Alltag funktioniert die Wasserstoff-Technologie. Damit hat sie auch das Interesse von Investoren geweckt. Momentan ist es eine illustre Schar an Unternehmen, die in diesem neuen Geschäftsfeld Fuss fassen will: Stromkonzerne wie Axpo oder Alpiq, Unternehmen wie Linde, die Industriegase produzieren, oder der Genfer Rohstoff-Gigant Trafigura. Aber auch die traditionellen Ölfirmen und Tankstellenbetreiber springen auf.
«Für diese Firmen geht es auch ums Überleben», wie es ETH-Professor Anthony Patt formuliert. Mit der wachsenden Zahl an Elektrofahrzeugen sinkt der Bedarf nach Diesel und Benzin.
Wasserstoff als Rettungsanker für die Tankstellen?
«Zu 95 Prozent werden Elektrofahrzeuge zu Hause an der Steckdose geladen», sagt Anthony Patt. Für die Tankstellenbetreiber und Ölfirmen seien das unerfreuliche Aussichten: Sie werden einen grossen Teil der heutigen Kundschaft verlieren. Wollen die Unternehmen überleben, müssten sie sich neu ausrichten. «Wasserstoff», so Patt, «kann in diesem Fall eine sinnvolle Möglichkeit sein.»
Da Wasserstoff eine funktionierende Infrastruktur benötigt, kommt diese Technologie den Tankstellenbetreibern grundsätzlich entgegen. Kommt hinzu, dass sie bereits heute über viel Wissen im Umgang mit Treibstoffen verfügen.
Ob die Rechnung allerdings tatsächlich aufgeht und der grüne Wasserstoff die Erwartungen und Hoffnungen erfüllen kann, werden die kommenden Jahre zeigen. Zumindest für Lars Gerber ist Wasserstoff bereits die Gegenwart und eine Technologie, die ihn auch an diesem Tag – und nach 250 Kilometern – zuverlässig wieder nach Hause gebracht hat.