Eine Tasche, zwei, drei, vier – und noch ein Papiersack in die andere Hand. Ob die alle im Kofferraum Platz haben? Ja, haben sie – wenn auch knapp. Der Mann ist Fahrer beim Onlinemarkt Farmy. Er liefert Früchte, Gemüse, Brot oder Käse nach Hause. Jetzt fährt er los. Ruhig wird es bei dem jungen Unternehmen in Zürich Altstetten dieser Tage nicht.
An manchen Tagen war die Nachfrage zehnmal so hoch wie noch vor einem Jahr.
Die fleissigen Gestalten mit den flinken Händen und der Maske im Gesicht verschwinden in alle Richtungen. Sie eilen in die Gemüseabteilung, in den Kühlraum zu Wurst und Käse oder zum Brot und bereiten dort Lieferungen vor. Seit dem Start der Krise seien sie im Ausnahmezustand, sagt Roman Hartmann, Mitgründer von Farmy. Die Nachfrage sei rasant gestiegen: «An manchen Tagen war sie zehnmal so hoch wie noch vor einem Jahr.»
Rasche Rekrutierung nötig
Grob könne man sagen, sie habe sich mindestens verdreifacht, so Hartmann. Das kann die Firma mit knapp 100 Mitarbeitern nicht stemmen. Er habe deshalb in den letzten Tagen gegen 40 neue Mitarbeiter angestellt, sagt Hartmann. Darunter sind zum Beispiel Fotografen oder Selbstständige – Leute, die wegen der Krise weniger oder gar keine Arbeit mehr haben.
«Wir versuchen nach und nach, die Leute auszubilden, als Kuriere, als Verpacker, oder als Kundenbetreuer. Und auch im Einkaufsteam brauchen wir neue Leute, die jetzt am 1. April anfangen.» Man tue, was man könne, um der Nachfrage gerecht zu werden. Doch das sei fast unmöglich, sagt Hartmann. Kunden müssen teilweise bis Mitte April auf ihre Bestellungen warten.
Wartezeiten bei Migros und Coop
Auch bei grösseren Onlineshops wie LeShop von Migros oder bei coop@home müssen Kunden länger warten als sonst. Hier hat sich die Nachfrage verdoppelt, sagt Patrick Kessler, Präsident des Versandhandel-Verbands. Die grosse Nachfrage bringe die Händler an ihre Grenzen.
«Viele Konsumenten kaufen zum ersten Mal Lebensmittel online ein. Und der erste Eindruck ist, dass sie zwei Wochen warten müssen, bis die Ware kommt», sagt Kessler. «Das ist nicht das, was wir uns gewünscht haben, aber man kann den Unternehmen nichts vorwerfen in dieser Situation.»
Der erste Eindruck der Kunden ist, dass sie zwei Wochen warten müssen, bis die Ware kommt.
Denn Händler könnten das Angebot nicht beliebig schnell ausbauen. Hinter einem Onlineshop stecke ein komplexes Logistiksystem, sagt Kessler. Das zeigt sich auch bei Farmy. Die Büromitarbeiter sind praktisch nonstop mit den Bauern und den Lebensmittel-Produzenten am Telefon. Denn auch die sind sich sonst kleinere Bestellmengen von Farmy gewöhnt. Es könne also schon vorkommen, dass in dem braunen Papiersack ein anderer Käse drin sei als bestellt wurde, erklärt Mitarbeiterin Andrea. Lebensmittel habe es aber genug.
Durchbruch dank Corona-Krise?
Es gebe sogar viele neue Produzenten, die nun auch über Farmy verkaufen wollten. Aber zurzeit schaffe man es nicht, weitere Produzenten und Produkte ins System aufzunehmen. Auch wenn der Verkauf nach der Krise wieder etwas zurückgehen wird: Für das Jungunternehmen könnte die Krise den Durchbruch bedeuten, so absurd das in der aktuellen Gesundheitskrise auch klingen mag.
Längst nicht alle Onlinehändler könnten aber so profitieren wie Farmy, sagt Patrick Kessler vom Dachverband der Versandhändler. Neue Kleider oder Schuhe würden die Leute aktuell zum Beispiel weniger bestellen als vor der Krise.