Christian Etter ist fürs Erste ziemlich zufrieden mit «seinem» Werk. Der Schweizer Botschafter, der die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen (FHA) mit China geführt hat, sagt nach einem Jahr: «Das Abkommen funktioniert». Das FHA werde von Schweizer Firmen rege genutzt – bereits viel öfter als die meisten anderen rund 30 Freihandelsabkommen, welche die Schweiz mit anderen Staaten abgeschlossen habe.
Dies bestätigt auch Wolfgang Schanzenbach von der Organisation «Switzerland Global Enterprise», die Schweizer Firmen bei der Internationalisierung hilft. Über 50 Prozent der Anfragen zu Freihandelsabkommen im vergangenen Jahr hätten China betroffen, deutlich mehr als vor dem Abschluss des FHA. Das Potenzial, das der chinesische Markt für Schweizer Firmen habe, sei weiterhin gross. Durch das Abkommen komme nun für die Firmen erstmals eine gewisse Transparenz, Planungs- und Rechtssicherheit dazu.
Freihandel ist nicht gleich «Freier Handel»
Einfacher ist der Handel mit China durch das FHA für Schweizer Firmen aber nicht geworden. «Freihandel» heisst nämlich nicht, dass jede Schweizer Unternehmung frei mit chinesischen Firmen handeln kann. In erster Linie sieht ein solches Abkommen vor, dass die Zölle auf Waren gesenkt oder ganz aufgehoben werden. Damit können Schweizer Produkte in China günstiger angeboten werden.
Ausserdem werden technische Handelshemmnisse abgebaut. Das kann zum Beispiel heissen, dass ein bestimmtes Produkt, das in der Schweiz die Sicherheitsprüfungen bestanden hat, in China nicht eine separate Zulassung beantragen muss. Darüber hinaus erhalten Dienstleistungsunternehmen, wie zum Beispiel Finanzinstitute, erleichterten Zugang zum chinesischen Markt.
Vorteile noch nicht in Zahlen messbar
Wie viel nun aber Schweizer Firmen im vergangenen Jahr durch abgebaute Zölle eingespart oder mehr abgesetzt haben, lässt sich noch nicht sagen. Ein Exportschub ist jedenfalls nicht feststellbar. Im Gegenteil wurde das Exportwachstum im vergangenen Jahr etwas gebremst, auch weil die chinesische Wirtschaft weniger schnell wächst. Immerhin wächst der Handel mit China immer noch überproportional stark gegenüber dem mit anderen Ländern. Wie viel das Freihandelsabkommen dazu beigetragen hat, lässt sich aus der Statistik nicht ablesen.
Es braucht auch noch einige Zeit, bis das Abkommen voll greift. Für viele Massnahmen sind lange Übergangsfristen vereinbart worden. Einzelne Zollschranken werden sogar erst in fünf oder zehn Jahren aufgehoben. Auch die Zusammenarbeit der schweizerischen und chinesischen Behörden funktionierte im ersten Jahr noch nicht ganz reibungslos.
Freude in der Wirtschaft gross
Die über 600 Schweizer Firmen, die bereits in China tätig sind, begrüssen jedoch die Erleichterungen – und nutzen sie nach Möglichkeit auch schon, sagt Jan Atteslander, Leiter Aussenwirtschaft beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Und auch er stellt dank der Anfragen fest, dass sich besonders viele KMU überlegten, in den chinesischen Markt zu expandieren.
Gerade weil die Schweiz als einzige namhafte Wirtschaftsnation ein Freihandelsabkommen mit China habe, sei man der weltweiten Konkurrenz noch einige Jahre einen Schritt voraus. Und das Ansehen von Schweizer Firmen als Handelspartner sei gestiegen, weil die chinesische Regierung das Abkommen als sehr wichtig einstufe.
Trotz FHA viel Aufwand für KMU
Vor zu viel Euphorie warnt jedoch Andreas Bodenmann, Asien-Spezialist bei der Beratungsfirma EY. «Gerade für KMU bleibt der Einstieg ins China-Geschäft schwierig», sagt er. Die kulturellen und bürokratischen Hürden würden durch das FHA nicht verschwinden. Wer diesen Schritt wage, müsse viel Managementkapazität über einen längeren Zeitraum investieren können.
Ob sich das Exportvolumen von derzeit gegen neun Milliarden Franken wegen des FHA über die Jahre ebenfalls verdoppeln wird, wie dies bei anderen FHA der Fall war, mag heute noch niemand beurteilen. Bodenmann weist darauf hin, dass sich die chinesische Wirtschaft rasch wandelt. Viele chinesische Firmen seien bald in der Lage, selber hochwertige Produkte herzustellen, die sie vor wenigen Jahren noch importiert hätten. In China wachse also eine interne Konkurrenz zu den Schweizer Unternehmen, die vor Ort präsent sind.
Menschenrechte und Arbeitssicherheit desolat
Auch muss sich eine Firma genau überlegen, mit wem sie in China zusammenarbeiten will. Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften weisen immer wieder darauf hin, dass sich die Lage der Menschen in China nicht wesentlich verbessert habe. An der desolaten Arbeitssituation, der mangelnden persönlichen Freiheit und an der Umweltsituation ändere das FHA nichts.
Dies versucht die Schweiz zwar zu beeinflussen. In einem Nebenabkommen wurde eine enge Zusammenarbeit in Fragen der Produktionssicherheit und Arbeitsbedingungen festgeschrieben. Ein erstes Treffen dazu habe bereits stattgefunden, sagt Botschafter Christian Etter.